Ellorans Traum
begann nach ein paar Minuten sogar, mich für mein Thema zu erwärmen. Tom reagierte genauso, wie ich es mir ausgemalt hatte: Er kringelte sich vor Vergnügen und bestand darauf, daß ich auch einige der Lieder zum besten gäbe. Ich tat mein Möglichstes, und bald grölten wir zu zweit die schlüpfrigsten Stellen, daß es nur so durch den Wald schallte. Sogar Akims düstere Miene erhellte sich ein wenig bei dieser Darbietung. Ranan galoppierte heran und schimpfte: »Was macht ihr denn nur für einen Radau? Seid ihr betrunken?«
Tom lenkte sein Pferd neben ihres und erzählte ihr in gedämpftem Ton die Geschichte von dem Olysser und dem Marmeladentopf. Sie wurde abwechselnd rot und blaß, und bei der Pointe schrie sie vor Lachen. Ihr Pferd klappte verschreckt die Ohren nach hinten und rollte mit den Augen.
»Du bist ein Schwein, Tom, ich habe es immer gewußt«, brüllte sie begeistert und hieb ihm auf die Schulter. Das warf ihn fast aus dem Sattel, aber er trug es wie ein Mann.
»Nicht ich bin das Schwein«, sagte er säuerlich. »Bedanke dich bei unserem unschuldigen jungen Reisegefährten, der in seinem zarten Alter einen großen Teil der Geschichten eigentlich gar nicht verstanden haben dürfte, die er da erzählt.« Plötzlich schwiegen alle peinlich berührt. Tom wurde blaß, als er begriff, was er gesagt hatte – und überlegte, was er von meinen letzten Monaten auf der Burg wußte. Die Gerüchte, die er vernommen hatte, waren sicherlich wild gewesen, aber ich bezweifelte ernsthaft, daß sie die Realität auch nur im Entferntesten erreichten. Akim gab einen erstickten Laut von sich, und ich schloß beschämt die Augen.
»Ach verdammt«, fluchte Tom. »Kleiner, es tut mir leid. Ich rede manchmal, ohne vorher nachgedacht zu haben.«
»Der-Der-Keinen-Fettnapf-Verfehlt«, flüsterte Akim neben mir. »Seit Jahren sein persönlicher Schutzgeist, mußt du wissen.« Ich kicherte. Die Weiterreise verlief in erstaunlich entspannter Stimmung.
An einem der nächsten Tage verließ uns Ranan, um zurückzureiten. Wir näherten uns unaufhaltsam der Grenze von Salvok. Akim weigerte sich zu erklären, warum er Jemaina aufsuchen wollte. »Muß sie was fragen«, knurrte er bärbeißig, und dabei beließ er es.
Tom und ich wahrten vorsichtigen Abstand. Ich fühlte mich schuldig, weil ich wußte, daß er mich noch immer liebte. Aber ich konnte keine Berührung, keine Nähe ertragen. Tom sorgte sich um mich, das sah ich ihm an. Was ihn wohl am meisten erschreckte, waren meine ›Anfälle‹, wie er es nannte. Ich erinnerte mich nie daran, und er weigerte sich, sie mir zu beschreiben.
Zwei Tagesreisen vor Burg Salvok ließ Akim uns ein Lager aufschlagen und schwang sich auf mein kleines Pferd. Er sah nicht sehr glücklich dabei aus, aber ich stellte fest, daß Tom wieder einmal maßlos übertrieben hatte. Der schmächtige Heiler war durchaus in der Lage, sich im Sattel zu halten.
Wir redeten in der Zeit, in der wir auf Akims Rückkehr warteten, viel miteinander. Tom zeigte sich behutsam und rücksichtsvoll, und er brachte mich dazu, von meiner besessenen Leidenschaft für Cesco zu erzählen.
»Warum t-tust du das für mich?« fragte ich ihn, als er wieder eine Nacht lang neben mir hockte und mit mir redete, weil mich die Angst vor dem Einschlafen hatte. Er lächelte nur und sagte nichts. Sein Gesicht war müde. Ich wanderte ruhelos auf der kleinen Lichtung auf und ab, vier Schritte ... vier Schritte ... Ich hielt es nicht mehr aus. Ich rannte zum Wagen und wühlte darin herum. Er kam hinter mir her und lehnte sich an die Tür.
»Was suchst du?« fragte er seltsam ruhig.
»D-den Weinschlauch«, ich schluchzte fast. »Das würde mir h-helfen, Tom, das hilft immer. B-bitte, Tom, sag mir, wo er ist! Bitte!« Er griff nach meinen Handgelenken und hielt sie wie ein Schraubstock. Ich schrie. Das fette, unendlich verkommene Gesicht war wieder da, es sah mich an, und ich wußte für eine blitzartige Sekunde wieder, wessen Gesicht es war. Ich schrie wie ein Wahnsinniger. Tom zog mich an sich und hielt mich fest. Ich schlug auf seinen Rücken ein und kreischte; versuchte, ihn zu treten, schrie, schrie, bis ein heftiger Hieb meinen Kopf traf und ich bewußtlos wurde.
»Ich dachte, ich schaue mal nach dir.« Ihre Hände strichen über meinen Kopf. »Du siehst ja gräßlich aus.« Noch nie hatte die Stimme meiner Schwester so beunruhigt geklungen. Ich leckte mir über die trockenen Lippen und sah aus trüben Augen zu ihr
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