Ellorans Traum
soll denn die Aufregung? Ich komme ja!« Schwerfällig trat der Torwächter heraus und schwankte zum Tor. Er entriegelte die kleine Pforte in dem riesigen Torflügel und wartete ungeduldig, daß wir hindurchtraten. Knarrend schlug die Pforte hinter uns zu, und knirschend schoben sich die Riegel wieder vor. Ich hatte Tränen der Erleichterung in den Augen. Ein Stück des Wegs hinunter, an einem dürren Baum angebunden, entdeckte ich ein stämmiges kleines Pferd aus Berg-Raulikanischer Zucht. Jenka klapste auf seine Kruppe und sagte halblaut: »Ich habe dir ein Bündel mit warmen Kleidern und ein wenig Geld zusammengepackt. Da ist ein Messer und ein Jagdbogen. Proviant findest du in der Satteltasche. Jetzt sieh zu, daß du Land gewinnst!«
Voller Dankbarkeit griff ich nach ihren Händen. »Jenka, du wirst schrecklichen Ärger bekommen, w-wenn sie dahinterkommen.«
»Ist mir klar«, antwortete sie knapp. »Aber wenn du glaubst, ich sehe mit an, wie mein bester Freund ...« Sie verschluckte, was sie hatte sagen wollen und umarmte mich heftig. Ich drückte sie an mich und spürte Feuchtigkeit auf meinem Gesicht. Sie küßte mich mitten auf den Mund und wischte sich dann mit einer ungeduldigen Bewegung die Tränen ab. »Geh jetzt endlich«, sagte sie rauh. »Und paß auf dich auf, Ell.« Sie verschwand in der Dunkelheit. Für einen Augenblick drückte ich mein Gesicht an den warmen Hals des struppigen kleinen Pferdes. Es wieherte leise und trat unruhig einen Schritt zur Seite. Ich griff nach den Zügeln und schwang mich in den Sattel. Ich wollte lieber erst ein sicheres Stück von der Burg fort sein, ehe ich mir die wärmere Kleidung anzog.
Ich ritt durch die inneren Bezirke der Stadt. Aus den Schenken fiel helles Licht; Musik und laute Stimmen, Gelächter und fröhliche Ausrufe deuteten auf einen gutgelaunten Ausklang des Winter-Krontags. Auf den Straßen war wenig Betrieb, anders als im Sommer. Der Hufschlag meines Pferdes schallte durch die engen Gassen, aber niemand kümmerte sich um den einsamen Reiter, der die Stadt durchquerte. Eine rote Katze kreuzte meinen Weg und sah mich mißtrauisch an. Ihre grünen Augen blitzten im Schein einer Fackel auf, dann war sie fort.
Ich erreichte das Tor, durch das ich vor über einem Jahr mit dem redseligen Senn die Stadt betreten hatte. Es stand wie damals offen, und ein grämlich dreinblickender Posten winkte mich umstandslos hindurch. Aber als ich mich zum Abschied noch einmal umdrehte, bemerkte ich, daß der Efeu vom Tor entfernt und das Gebüsch, das ein Schließen verhindert hätte, gerodet worden war – und die Angeln schimmerten in einem matten, tiefen Schwarz, das darauf hindeutete, daß sie frisch geschmiert waren. Die Kronstadt bereitete sich auf den Krieg vor. Mir war kalt, ich begriff zum ersten Mal wirklich, was für Folgen meine blutige Tat noch nach sich ziehen mochte.
Am Kreuzweg hinter der Brücke zügelte ich mein Pferd und dachte nach. Wenn ich nach Sturmhaven wollte – und wo sollte ich sonst hingehen? – mußte ich mich nach Südwesten wenden. Ich hatte aber wenig Interesse, zu dicht an Salvok vorbeizukommen, also war es vielleicht besser, erst einmal ein kleines Stück nach Süden zu reiten und später erst die westliche Richtung einzuschlagen. Ich wendete den Kopf meines Pferdes in die richtige Richtung und gab ihm die Sporen, als vor mir zwei schattenhafte Reiter auf dem Weg auftauchten. Sie mußten dort gewartet haben, denn ich hatte keinen sich nähernden Hufschlag vernommen. Mit einem unterdrückten Fluch griff ich zu meinem Messer. Sollte meine Flucht schon so früh entdeckt und vereitelt worden sein? Die Reiter kamen näher, und ich war fest entschlossen, mich nicht zurückbringen zu lassen. Lieber wollte ich jetzt und hier sterben. Sie kamen heran, und ich hörte den kleineren von ihnen zu seinem riesigen Begleiter sagen: »Siehst du, Kleine, sie haben es geschafft!«
»Tom!« rief ich, zittrig vor Erleichterung. »R-Ranan! Dank sei Denen-Die-Sind!«
»Ja, sicher, und zur Hölle mit Dem-Der-Nie-Seine-Schnauze-Hält«, knurrte eine mürrische Stimme. Räder knarrten, und ein Wagen schob sich aus dem Gebüsch auf den Weg hinaus. »Gut, daß du endlich da bist, Landplage, Tom quasselt mir seit zwei Stunden Fransen ins Ohr. Reiten wir jetzt bitte endlich los, ich kann gerade diesen Busch hier nicht mehr sehen!«
Ich ritt lange Zeit schweigend und erleichtert neben Tom her. Ranan hatte mich angestrahlt und dann gemurmelt, sie würde die Nachhut
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