Ellorans Traum
umzubringen, nur festzunehmen; aber wir konnten uns doch schlecht gefangennehmen lassen!« Sie lachte, trotz ihrer offensichtlichen Wut. »Sie haben gedacht, sie hätten leichtes Spiel mit uns: eine Einarmige und ein weichlicher, unbewaffneter Diplomat, was sollten die schon gegen vier geübte Berufskämpfer ausrichten.« Tom schnaubte abfällig.
»Trotzdem, ihre Kommandantin war gut. Sonst hätte sie Galen nicht so mit dem Schwert erwischt, bevor er ihr das Genick gebrochen hat ...« Sie unterbrach sich und rief nach hinten: »Maddoc, wie sieht es aus?«
Ohne von seinem Patienten aufzusehen, antwortete der Heiler: »Er hat zwar ziemlich viel Kühlflüssigkeit verloren ...«
»Doktor Abou-Khalil!« rief Quinn drohend.
»Entschuldigung«, grummelte der Gerügte. »Ich wollte sagen, abgesehen von dem Blutverlust ist die Verletzung weniger ernst, als sie aussieht. Ich flicke ihn zusammen, und wenn er dann ein paar Stunden schläft, ist er morgen wieder wie neu.«
»Was habt ihr mit den Leichen getan?« fragte Ranan. Ich schauderte wieder einmal über die Fühllosigkeit, mit der die junge Frau über das Töten und Verstümmeln von Menschen sprach.
»Ich habe sie, so gut es ging, versteckt. Sie werden sicher gefunden werden, wenn jemand ernsthaft nach ihnen sucht. Aber bis dahin müssen wir ohnehin eine deutliche Spur nach Osten ausgelegt haben. Sie sollen denken, daß wir über Land nach S'aavara gelangen wollen.«
Galen trat zu uns, auf den kleinen Heiler gestützt. Seine Wunde war verbunden, und nur noch einige bläulich graue Flecken an seinen Händen und auf den Kleidern deuteten auf den – nun ja – Blutverlust hin. Seine Augen waren tief eingesunken, und das hohlwangige Gesicht mit dem grausamen Mund wirkte noch versteinerter als sonst.
Quinn sah ihn besorgt an. »Wie geht es dir, Wunder?« fragte sie weich.
Galen nickte knapp und verzog etwas die schmalen Lippen. »Ich werde die Behandlung wohl überleben, danke.« Akim schnaufte beleidigt. Galen ließ sich vorsichtig neben mir nieder und griff nach meiner Hand. Ich hätte sie ihm liebend gerne entzogen, so sehr ekelten mich die seltsamen Flecken auf ihr, aber er hielt mich unbarmherzig fest.
»Du wirst Nikolai für uns finden«, sagte er eindringlich. »Es ist sehr, sehr wichtig, Elloran. Denke bitte immer daran. Es geht ihm höchstwahrscheinlich nicht gut, und es ist durchaus möglich, daß er sich nicht an dich erinnert. Aber du mußt ihn irgendwie dazu bringen, daß er dir folgt – und ihn hierher schaffen. Wirst du das für uns tun?« Seine eisige Hand umklammerte mein Handgelenk, und seine farblosen, vielfarbigen Augen bohrten sich in meine und schienen tief in meinen Schädel einzudringen. Es kribbelte unangenehm, und die anderen stöhnten leise auf.
»Wunder!« ächzte Quinn. »Deine Abschirmung!«
»Das ist doch wirklich nicht erstaunlich«, ereiferte sich Akim und half Galen auf. »Er muß sich jetzt dringend hinlegen, Captain.« Er schleifte den hageren Mann zum Karren und bugsierte ihn ins Innere.
»Hast du dein Bündel gepackt?« fragte Quinn. »Wir treffen uns hier in genau zehn Tagen, ab heute gerechnet. Vom zweiten Wachwechsel an wird sich immer mindestens einer von uns hier aufhalten und auf euch warten. Ich wünsche dir viel Erfolg, mein Junge.« Ich nickte steif und stand auf, um mein Pferd zu holen. Tom folgte mir und hielt mich noch einmal am Arm fest. Ich erwiderte seinen Blick und lächelte ein wenig unsicher.
»Ihr seid sehr m-merkwürdige Menschen, Tom. Manchmal f-frage ich mich, ob ich richtig handele.« Tom zog mich an sich, und ich ließ es geschehen.
»Vergiß eines nie«, flüsterte er. »Ich liebe dich, Elloran. Ich würde dir nie etwas Böses tun. Nie.« Er küßte mich. Ich schlang meine Arme um ihn und erwiderte seinen Kuß.
»Wir sehen uns in zwei Wochen«, rief er leise und winkte zum Abschied. Ich hob meine Hand und führte das Pferd auf den Weg. Eine halbe Tagesreise vor mir lag Sturmhaven. Irgendwo dort würde ich Nikal wiederfinden. Ich ließ mein Pferd antraben und rief laut: »Nik, ich komme!« Ein schwaches Echo hallte von der Kuppe des Galgenhügels wider, es klang wie Rabenkrächzen oder eher noch wie ein spöttisches Lachen. Mein Pferd wieherte erschreckt, und ich spornte es zum Galopp an. Der Hügel verschwand hinter mir. Ich fühlte mich seltsam erleichtert. Wenn ich erst einmal Nikal wiedergefunden hatte, würde alles gut, das wußte ich.
»Kleiner Spinner«, flüsterte meine Schwester. »Du
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