Ellorans Traum
ausgeben.« Mir traten Tränen der Demütigung in die Augen.
»In m-meinem Umhang«, krächzte ich. Er ließ mich nicht sofort los, starrte mich noch einige Lidschläge lang an. In seinen Augen stand eine schreckliche Heiterkeit. Dann preßte er grausam seinen Mund auf meinen und küßte mich, obwohl ich mich angeekelt dagegen zur Wehr setzte. Er stieß mich von sich und griff nach meinem Umhang, holte das Päckchen mit den Briefen aus der inneren Tasche und machte es sich wieder auf meinem Bett bequem.
Ich hockte an der Wand und betupfte mit bebenden Fingern meine blutenden Lippen und den Schnitt in meiner Wange. Er entfaltete den ersten Brief, und ich hielt den Atem an. Wenn Julians Täuschung nicht gelang, würde ich diesen Raum nicht mehr lebend verlassen.
Nikal überflog das Schreiben stirnrunzelnd, griff dann zum nächsten. Sein Gesicht zeigte keinerlei Regung. Endlich schnürte er das Bündel wieder zusammen und warf es mir zu. Ich fing es überrascht auf und kam hastig auf die Füße. Er schwang die Beine in den abgetragenen schwarzen Hosen aus dem Bett und stützte seine Arme auf. Die Hände baumelten locker vor seinen Knien, und er wirkte völlig entspannt. Trotzdem fühlte ich mich, als säße ich unmittelbar vor dem Bolzen einer gespannten Armbrust.
»Wir müssen noch über meine Bezahlung sprechen«, sagte er im Plauderton. »Ich denke, die Hälfte wäre angemessen.«
Im Versuch, mir meine Erleichterung nicht anmerken zu lassen, protestierte ich heftig. »Das ist doch w-wohl nicht dein Ernst, Nikal! Ich h-habe mein Leben für die Briefe aufs Spiel gesetzt ...«
» Dein Leben?« unterbrach er mich spöttisch. Das brachte mich zum Verstummen. »Hör zu, Bürschchen. Wenn du schon so anfängst: Ich riskiere meinen Hals, wenn ich dich zu Ruud bringe. Er hat nämlich im Augenblick etwas gegen mein Gesicht.« Er lachte hart auf. »Aber er dürfte derjenige sein, der dir am meisten für diese Briefe zahlen wird. Bei dem Risiko, das ich für dich eingehe, sind fünfzig Prozent für mich doch nicht zu viel verlangt.«
»Vierzig«, antwortete ich. Er balancierte den Dolch wieder zwischen den Fingern. Ich schluckte mit einem Seitenblick auf den scharfen Stahl und wiederholte stur: »Vierzig, Nik. M-mein letztes Wort.« Seine rotgeränderten Augen bohrten sich in meine. Ich setzte mein hochmütigstes Gesicht auf und wich dem Blick nicht aus, obwohl mir der Angstschweiß den Rücken hinunterlief. Endlich kicherte er – ein böses Geräusch – und ließ den Dolch verschwinden.
»Na gut«, gab er nach und stand auf. »Aber nur um unserer guten alten Freundschaft willen.« Er ging zur Tür. »Treffe mich morgen abend im Gelben Segel, dann bringe ich dich zu Ruud.« Er öffnete die Tür und zögerte, schlug sich vor die Stirn, als habe er etwas vergessen und fischte einen Krontaler aus seiner Tasche. Den warf er mir klirrend vor die Füße, leckte sich hämisch noch einmal über die Lippen und ging.
Ich sank auf mein Lager und bemühte mich, wieder Herr meiner zitternden Glieder zu werden. Inzwischen war ich mir alles andere als sicher, daß ich die nächste Woche noch erleben würde. Sollte doch Galen selbst versuchen, Nikals habhaft zu werden. Ich könnte jetzt mein Pferd aus dem Mietstall holen und zu unserem Treffpunkt reiten. Dort würde ich mich zwei Tage lang eingraben und dann Quinns Gruppe berichten, wo sie ihn finden konnte. Und ganz sicher würde ich sie nicht dabei begleiten. Ich rauchte fahrig, und meine Gedanken rasten im Kreis wie gefangene Ratten.
Was am Ende über meine Angst siegte, war die Geldgier. Wenn ich aus Ruud eine anständige Summe herausschlagen könnte, wäre ich trotz der Bezahlung für Nikal schon einen Teil meiner Sorgen los. Je nachdem, wie das Zusammentreffen mit Omellis Leuten verlief, konnte ich Nik seinen Anteil vielleicht sogar wieder abknöpfen. Ich rauchte, und mit jedem verglimmenden Stäbchen sah die Zukunft weniger düster aus. Ich würde es schon schaffen, Ruud und Nikal zu übertölpeln. Alles Weitere lag ohnehin nicht mehr in meinen Händen. Sollten sich doch die anderen die Köpfe darüber zerbrechen, was sie mit dem wahnsinnigen Totschläger anfingen.
Bis zu unserer Verabredung am nächsten Tag blieb ich im Bett, rauchte und schlief. Katarin sah einige Male nach mir, aber ich hatte keine Lust, mich zu unterhalten. Mein Kopf war leicht und frei wie schon lange nicht mehr, und ich genoß diesen Zustand weidlich.
Gegen Abend wusch ich mich flüchtig und zog mich
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