Ellorans Traum
diese grausame Art zu Tode bringen wollte. Ob ich wohl jemals erfahren würde, wer mein Feind war? Ich mußte lachen. Es war unwichtig. Schon bald würde mich das alles so wenig kümmern wie die Frage, wer im nächsten Frühlingsrennen von Salvok den Hauptpreis erränge. Mein Rauchstäbchen verglomm, und ich entzündete ein zweites. Ich würde das Beste aus der Zeit machen, die mir noch verblieb. Irgendwie mußte ich an genügend Geld herankommen, um mir nicht auch noch darüber ständig den Kopf zerbrechen zu müssen. Dann würde ich mich an einen Ort zurückziehen, wo mich keiner suchte, und dort auf meinen Tod warten. Wobei ich gedachte, mir diese Wartezeit wenigstens so angenehm zu vertreiben, wie das nur möglich war.
»Fressen, saufen, rauchen und ab und zu was Warmes fürs Bett?« wisperte eine Stimme in mein Ohr. Ich verschluckte mich am Rauch und mußte husten. Hände klopften hilfreich und nicht allzu sanft auf meinen Rücken.
»Du Quälgeist«, flüsterte ich erbost. »Was willst du eigentlich noch von mir? Laß mich doch einfach in Ruhe, verdammt!«
»Ich denke ja nicht daran!« sagte sie empört. »Du bist viel zu unterhaltsam, weißt du? Ich wüßte nicht, worüber ich lachen sollte, wenn ich dich nicht hätte, Brüderchen.«
»Es gibt dich nicht«, sagte ich und kniff die Lippen zusammen. »Ich sehe überhaupt nicht ein, warum ich mich von jemandem ärgern lassen soll, den es nicht gibt.«
»Oha!« sagte sie anerkennend. »Du lernst ja anscheinend doch, mein Lieber. Das ist doch schon mal ein Schritt in die richtige Richtung. Wenn du in dem Tempo weitermachst, entwickelst du dich vielleicht noch zu einem halbwegs anständigen Gesprächspartner, ehe du krepierst.«
Es verschlug mir bei dieser unvermuteten Rohheit den Atem. Sie schnalzte mißbilligend mit der Zunge. »Schon wieder in die Falle gegangen? Elloran, Elloran! Du hast doch gerade selbst einen ganz richtigen Schluß gezogen. Warum machst du nur immer dieselben Fehler? Du versuchst, mit den Erwachsenen zu spielen, dabei fällst du ständig auf meine armseligen Tricks rein – und das, obwohl ich nicht einmal existiere!« Sie lachte böse und war fort. Ich biß mir verärgert auf die Lippen. Meine Traumschwester entwickelte sich langsam zu einem Dämon, der mich bis aufs Blut quälte.
»Hast du gerufen, Elloran?« fragte Katarin von draußen. Ich versicherte, alles sei in bester Ordnung und zog mir meine Decke über die Ohren.
Am nächsten Tag war ich noch zu schwach, um aufzustehen. Katarin ließ mich schlafen und brachte mir nur hin und wieder etwas Tee und Brot ans Bett. Ich verschlief zwei ganze Tage und Nächte. Am Morgen darauf fühlte ich mich wieder einigermaßen bei Kräften. Julian hatte sich noch nicht bei mir gemeldet, und ich wurde langsam unruhig. Wenn Nikal mich zu Ruud brachte, mußte ich diese gefälschten Briefe in der Tasche haben, sonst würde es mir mit Sicherheit schlecht ergehen.
Ich trank meinen Tee mit Katarin und kaute appetitlos an einem winzigen Stück Käse herum. Sie sah mich sorgenvoll an, und ich bemühte mich, etwas freundlicher zu blicken.
»Warum gehst du nicht ein wenig spazieren?« schlug sie vor. »Es ist schön draußen, sonnig und ein bißchen windig. Das tut dir bestimmt gut.« Ich mußte unwillkürlich lächeln. Sie hörte sich an wie vor Zeiten meine Amme, wenn sie mich loswerden wollte, um sich endlich um ihre andere Arbeit zu kümmern.
»G-gute Idee«, sagte ich heiter. Vielleicht träfe ich ja Magramanir am Hafen und konnte Julian ein wenig Dampf machen.
Warm eingemummelt spazierte ich die Mole hinunter. An der südlichsten Spitze Sturmhavens setzte ich mich auf eine Mauer, ließ die Füße baumeln und blickte über das Meer. Irgendwo dahinten lag S'aavara. Ich schloß die Augen, ließ den nach Salz und Tang riechenden Wind um meine Nase wehen und träumte von Sand und Kamelen. Etwas fiel in meinen Schoß und wäre fast in das graugrüne Wasser unter mir geplumpst, wenn ich nicht unwillkürlich zugegriffen und es festgehalten hätte.
»Mag!« schimpfte Julian. »Du verdammtes Vieh, das machst du doch absichtlich!« Sie krächzte vergnügt und flog eine Schleife.
Ich betrachtete das kleine Päckchen. Es war sorgsam in weiches Leder gehüllt und mit einem Band verschnürt. Ich entknotete es mit unsicheren Fingern und schlug das Leder auseinander. Mehrere gefaltete, mit Siegeln versehene und säuberlich beschriebene Bögen Papier fielen mir entgegen.
Ich sah verzweifelt auf. »Julian, das
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