Ellorans Traum
Herberge einmieten und auf Julian warten würde. Doch Jemaina überraschte mich. Ich hatte ihr erzählt, daß ich nach Kronstadt reiste, um nach einem neuen Dienstherren zu suchen, nachdem meine alte Herrin in einem Kampf getötet worden war. Das nahm die Heilerin jetzt zum Anlaß, mich auf die Burg einzuladen: »Ich werde dich domna Veelora vorstellen. Sie kann dir sicher behilflich sein, eine Anstellung zu finden, vielleicht sogar bei der Kronengarde.«
Ich ließ mir meine Zweifel daran, daß meine Großmutter einen trunksüchtigen, abgewrackten Söldner in die Garde aufnähme, nicht anmerken und dankte Jemaina für ihr Angebot. Meine so schwer in den Griff zu bekommenden Gedanken wirbelten durch meinen Kopf. Warum sollte ich diese Gelegenheit nicht nutzen, in die Burg hineinzugelangen – ohne Julians Hilfe! Das sollte ihm beweisen, daß ich nicht in allem auf ihn angewiesen war. Auf ihn warten konnte ich dort so gut wie in irgendeiner Herberge.
Mit beklommenem Herzen ritt ich in den Inneren Hof. Wie gut hatte ich diesen Ort kennengelernt – und wie wenig hatte ich damit gerechnet, ihn jemals wiederzusehen! Zum allerersten Mal fühlte ich, daß hier meine Heimat war, nicht in Salvok und nicht in irgendeiner anderen Gegend dieser Welt. Das erschreckte mich zutiefst. Wenn Julians Pläne fehlschlugen, bedeutete das für mich ewiges Exil – falls ich ein Scheitern überhaupt überlebte. Schrilles Kichern klingelte in meinen Ohren, und Schatten waberten durch mein Blickfeld. Ich unterdrückte ein Schaudern und fragte Jemaina, wohin sie mich jetzt brächte.
»Zu den Gästequartieren«, antwortete sie. »Morgen kümmere ich mich darum, daß die Herrin von Kerel Nor dich empfängt.« Sie nickte Tom zu, der sich bei den Ställen von uns trennte, und führte mich dann zum Gästeflügel, der in einem Seitentrakt des neueren Gebäudes lag. Dort organisierte sie mir ein Quartier und wies mir den Weg zum Speiseraum. Ich bemerkte mit Erstaunen, wie sie sich hier in der Burg bewegte, als hätte sie nie irgendwo anders gelebt. Sie verabschiedete sich bis zum nächsten Tag von mir, und ich zog mich in mein Quartier zurück. Es erinnerte mich an die kleine Kammer, in der ich meine ersten Tage auf dieser Burg verbracht hatte.
Ich setzte mich in die Fensternische und zog meinen kleinen Spiegel hervor. Doch bei dem Versuch, Julians Gesicht zu betrachten, scheiterte ich kläglich. Nebel und seltsame, verzerrte Schemen glitten über die Spiegelfläche, aber sie ließen sich nicht zu den vertrauten Zügen meines Onkels verdichten. Viel zu sehr lenkten mich die flüsternden, bösen Stimmen in meinem Kopf ab, die über meine vergeblichen Bemühungen hämisch zu kichern schienen. Ich starrte hilflos in den Spiegel und wartete auf ein Wunder. Ein Schatten regte sich in meinem Augenwinkel. Ich schrak heftig auf. Ein harter Schnabel klopfte ungeduldig gegen die Fensterscheibe, und ich hörte mich erleichtert aufschluchzen, als ich für Magramanir das Fenster öffnete. Sie hüpfte auf mein Bett und sah mich mit schiefgelegtem Kopf verschmitzt an.
»Gratuliere, Neffe«, erklang fern und klein Julians Stimme. »Du hast es wahrhaftig geschafft, ohne mich hineinzukommen!« Ich hockte mich neben die kleine Rabin aufs Bett und strich sanft mit dem Finger über ihren glänzend schwarzen Kopf.
»J-Julian, es geht irgend etwas mit mir v-vor«, begann ich verzweifelt und erzählte ihm von meinen quälenden Erscheinungen. Er hörte stumm und aufmerksam zu und schwieg noch eine ganze Weile, nachdem ich geendet hatte.
»Ich hatte es befürchtet«, sagte er schließlich bedrückt. »Aber ich wollte dich damit nicht belasten, es hätte durchaus sein können, daß ich mich irrte.« Er seufzte tief. Ich wandte meine brennenden Augen nicht von Magramanirs Schnabel, als spräche sie jeden Moment mein Todesurteil aus.
»Das ist Leonies Werk«, sagte Julian zögernd. Es schien ihm schwerzufallen, das auszusprechen. »Ich habe versucht, dich von ihrem Dämon zu erlösen, aber sie hat einen anderen Weg gefunden, dich zu peinigen. Es ist, wie ich vermutet habe: Ich kann dich nicht von ihr befreien, du mußt es selbst tun.«
Ich schloß betäubt meine Augen. »W-wie?« flüsterte ich voller dunkler Befürchtungen. Er antwortete nicht.
»Ich werde morgen bei dir sein«, sagte er schließlich mit tiefem Mitgefühl in der Stimme. »Dann werden wir besprechen, was zu tun ist. Hältst du es noch eine Nacht aus?«
»Solange ich nur genug zu trinken habe ...«
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