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Ellorans Traum

Ellorans Traum

Titel: Ellorans Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances G. Hill
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betrachtete ohne jedes Gefühl die Leiche meines Großvaters. Jetzt war ich die Krone, wurde mir auf einmal klar; aber selbst dieser Gedanke berührte mich seltsam fern. Die äußere Tür klappte, und schnelle Schritte näherten sich.
    »Zeit zum Aufstehen, Liebster«, erklang eine fröhliche Stimme. Meine Großmutter stand in der offenen Tür zum Schlafgemach. Sie sah mich auf der Bettkante sitzen und öffnete in höchstem Erstaunen den Mund. »Elloran«, rief sie überrascht. »Wo kommst du her?« Ihr Blick streifte den Leichnam, und sie sah mich mißtrauisch an.
    »Er scheint sich nicht wohlzufühlen«, sagte ich. »Sieh ihn dir d-doch bitte einmal an, Großmutter.« Sie trat heran und berührte Karas an der Schulter. Er regte sich nicht, und sie beugte sich tiefer über ihn, um die Decke zurückzuschlagen. Mit einem herzzerreißenden Schrei fuhr sie auf und zu mir herum. Ehe sie auch nur eine abwehrende Bewegung machen konnte, hatte ich den S'aavaranischen Stahl tief in ihre Brust gesenkt. Sie starb leichter als ihr Mann. Fast bedauernd zog ich den Dolch aus ihrem leblosen Körper. Der Blutstein an seinem Griff leuchtete in einem unheilvollen Feuer, als hätte ihr warmes Herzblut ihn zum Leben erweckt. Ich stand wie betäubt und gleichzeitig so hellwach wie noch nie in meinem Leben vor den beiden Toten.
    »Weiter«, flüsterte der Dunkle. »Du hast noch eine Aufgabe zu erfüllen, ehe du dich ausruhen kannst. Gehe zu ihr, aber hüte dich, den Thronsaal zu betreten, ehe sie tot ist. Hörst du? Du darfst den Thronsaal nicht betreten!« Ich nickte ungeduldig. Hielt er mich für taub oder dumm? Ohne zurückzublicken, ging ich auf den Gang hinaus. Etwas zog mich wie ein Magnet hinunter, aus dem Gebäude und hinaus in den Rosengarten. Tau perlte auf den grünen Blättern und erste zarte Blütenknospen prangten an den unzähligen Sträuchern und Hecken. Ich ging wie ein Schlafwandler auf die Mitte des kleinen Labyrinths zu, das eine meiner Ahnen hier hatte pflanzen lassen, und dort wartete sie auf mich. Ihre hohe, schwarze Gestalt in den leuchtend weißen Gewändern und mit der Aureole weißen Haars stand schweigend und reglos da und sah mir entgegen, wie ich mich ihr mit dem blutigen Dolch in der erhobenen Hand näherte.
    Sie ließ mich bis auf wenige Schritte an sich herankommen, dann hob sie gebieterisch den Arm. Ich prallte gegen eine unsichtbare Wand. Der Dunkle zischte wütend in mein Ohr. Sie senkte die Hand, und eine zweite Gestalt löste sich aus ihrem Schatten und trat an mich heran. Ein weißer Kapuzenmantel umhüllte sie vollständig. Wer auch immer es war, er sollte mich durchlassen, ich mußte mein Werk vollenden, damit ich endlich wieder schlafen konnte.
    Jetzt stand sie vor mir und schlug die Kapuze ein Stück zurück. Ich sah in das erbarmungslose Gesicht meines Dämons.
    »Töte sie!« zischte der Mann. »Du mußt sie töten, damit du dich endlich von ihr befreist, sonst wird sie dich dein Leben lang verfolgen und quälen. Vernichte sie, Elloran!«
    Ihre Augen hielten mich gefangen. »Weißt du die Antwort, Elloran?« fragte sie flüsternd. Ich ächzte und richtete den Dolch gegen ihre Brust.
    »Töte sie endlich, sonst vernichtet sie dich!« kreischte der Mann hinter mir. Sie hob eine schlanke Hand und strich sanft über meine Augen. Die Nebel hoben sich von meinen Augen, und die barmherzigen Schleier wichen von meinem Geist. Ich sah, was ich nicht hatte sehen wollen.
    Ihr Gesicht verzerrte sich in mitfühlendem Schmerz, als ich mich vor Qual zusammenkrümmte, die blutige Hand immer noch um den Dolch gekrampft. Die schweigende Gestalt hinter ihr hatte die Arme ausgebreitet, als flehte sie alle Geister um Beistand an.
    »Erkennst du es jetzt, Elloran?« fragte meine Schwester. Ich schluchzte vor Grauen. »Ich habe schon einmal versucht, es dir zu zeigen, erinnerst du dich?« fuhr sie fort. Ich flehte sie an, mich zu verschonen, aber sie zeigte kein Erbarmen. In ihren mitternachtsblauen Augen spiegelten sich all meine Taten, und ich mußte sie ansehen, konnte meinen schreckenstarren Blick nicht davon abwenden. Ich sah die noch jugendliche, aber schon von innen her verfaulende Fratze des verderbten Tyrannen, den sie mir einst als Warnung in meinen Fieberträumen vorgeführt hatte, und vor dem ich meine Augen verschlossen hatte.
    Ich sah, wie ich, nur auf mein eigenes Wohl bedacht, gewissenlos jeden ausnützte, der mir seine Freundschaft anbot, ich sah den letzten Blick, den Katarin mir zuwarf und wie ich

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