Ellorans Traum
löschten die Welt aus, und mein Geist machte sich auf den mühsamen Weg nach Hause. Mein Spiel war nun für alle Ewigkeit beendet.
Die Menschen im Thronsaal der Kronenburg standen wie versteinert. Tom hatte die Hände vor die Augen geschlagen, und seine Schultern bebten, während Akim ihn festhielt. Jenka klammerte sich weinend an Jemaina, die mit trockenen Augen und einem merkwürdig friedvollen Ausdruck auf dem Gesicht auf die kniende Gestalt in dem weißen Kapuzenmantel blickte, die den Toten in ihren Armen hielt. Veelora und Karas hielten sich wie verirrte Kinder bei den Händen, und die Oberste Maga senkte langsam die erhobenen Arme und öffnete ihre gelben Augen.
»Laß ihn los, Kind«, sagte sie, und der Widerhall ihrer leisen Stimme erklang gespenstisch zwischen den marmornen Wänden. »Es ist nur noch sein Körper.«
Wie mit den Augen eines Fremden sah ich zu, wie die weißgekleidete junge Frau den Leichnam behutsam zu Boden gleiten ließ und mit blutbefleckten Fingern seine starren Augen schloß. Sie zog den kostbaren Dolch aus seinem Herzen und schleuderte ihn fort.
Dann ließ ich den weißen Mantel von meinen Schultern gleiten und deckte ihn mit einem letzten Blick über den Toten.
»Es ist gut, Kleines«, sagte Leonie beruhigend. »Du hast deine Sache sehr gut gemacht.«
Jenka schrie in höchstem Entsetzen auf, als ich mich umdrehte und Leonies ausgestreckte Hand ergriff. Auch in den Gesichtern der anderen erblickte ich namenlose Angst und Verwirrung.
Tom stöhnte fassungslos. Ich sah flüchtig zu ihm hinüber, im Geiste immer noch bei dem, was mir gerade widerfahren war. Es war eine große, betäubte Leere in mir und gleichzeitig ein ungeheurer Ansturm von Bildern, Tönen, Gefühlen und Erinnerungen, denen ich mich kaum gewachsen fühlte. Ich wandte mich um und sah die Magierin hilfesuchend an. Sie verstand meine stumme Bitte. »Du mußt dich ausruhen«, erklärte sie und ergriff stützend meinen Arm, um mich hinauszuführen. »Deine Freunde können warten, Elloran.«
22
I ch hatte fast vergessen, was es hieß, zu schlafen – einfach nur zu schlafen; den Kopf auf ein Kissen zu betten, die müden Augen zu schließen und mich in wohltuendes Dunkel sinken zu lassen. Leonie hatte mich zu einem Zimmer in der Nähe ihrer Gemächer geführt; sie wußte, ohne daß ich es ihr hatte sagen müssen, daß ich nicht in meine alten Räume zurückwollte, nicht in dem Bett schlafen konnte, in dem Cesco gestorben war.
Mein Erwachen war so sanft, wie mein Schlummer gewesen war. Der schmetternde Gesang einer Drossel weckte mich. Ich öffnete die Augen in einen lichtdurchfluteten, strahlenden Sommermorgen. Für einen langen, glücklichen Augenblick wußte ich weder wer – noch wo ich war. Ich streckte die Arme aus, gähnte und räkelte mich wie eine zufriedene Katze. Dann, langsam, langsam, tropfte die Erinnerung zurück in meinen Geist, und ich barg das Gesicht in den Kissen.
Ich war ich selbst und doch jemand anders, meine Erinnerungen fühlten sich falsch an, mein Körper war mir fremd, und ich wußte nicht, was geschehen war, obwohl ein Teil von mir es hätte wissen müssen. Meine Hände fuhren über meinen Körper und ertasteten die ungewohnte Gestalt. Mir wurde schwindelnd bewußt, daß ich nun kein T'svera mehr war, kein Neutrum, daß ich nie wieder würde vorgeben müssen, ein Mann zu sein – und daß Julian unrecht gehabt hatte, als er mich als den Thronerben bezeichnete.
In Gedanken versunken zog ich Ellorans – meine – viel zu weiten Hosen und eine leichte Tunika über meine mageren Glieder und begann, die Fragen in meinem Kopf zu sortieren. Ich hatte geglaubt und gehofft, daß meine Traumschwester, meine andere Hälfte, im Besitz aller Antworten sein mußte, aber das stellte sich nun als Wunschtraum heraus. Sie war in der ganzen Zeit ein Teil von mir selbst gewesen, immer bei mir, auch wenn ich das nicht gewußt hatte. Sie war ich, getrennt von mir und doch mit mir vereint, und ich mußte jetzt versuchen, unsere beiden Hälften zu einem Ganzen zu vereinigen. Ich sank in die gepolsterte Fensternische und starrte blicklos hinaus auf den Rosengarten.
Die Tür öffnete sich, und ein Dienstmädchen, das mich verschreckt anblickte, stellte ein reichhaltiges Frühstück auf den Tisch. Ich dankte ihr, und sie ging eifrig knicksend hinaus. Dabei rannte sie beinahe meinen Großvater um, der auf seinen Stock gestützt in der Tür stand. Er starrte mich wie eine Erscheinung an, und ich erwiderte seinen
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