Ellorans Traum
Unterarme, die ich wegen der aufgekrempelten Ärmel seiner seltsam geschnittenen schwarzen Jacke sehen konnte – irgend etwas an ihm störte mich, störte mich ungeheuer. Ich bekam es nicht zu fassen.
»Weshalb kannst d-du hier neben mir sitzen?« fragte ich hilflos. »Du bist eins von Julians Geschöpfen, nicht wahr?«
Er schüttelte sacht den Kopf. Seine Augen wirkten klar und hell, ohne ein Anzeichen des mörderischen Wahnsinns, der zuletzt in ihnen gestanden hatte.
»Er hat versucht, mich zu einem seiner Geschöpfe zu machen«, sagte der Mann mit Nikals Gesicht. »Es wäre ihm beinahe gelungen. Ich habe ihm viel, zu viel offenbart, was er niemals hätte erfahren dürfen. Ich war nicht bei Sinnen, und er hat verstanden, das auszunutzen. Schließlich wußte ich mir nicht mehr anders zu helfen: Ich habe versucht, ihn umzubringen. Aber da war ich schon zu sehr beeinträchtigt von dem, was mich fast meinen Verstand gekostet hätte. Es ist mir mißlungen.« Er verstummte und zog schmerzlich die Brauen zusammen. »Du warst bei dem letzten Versuch dabei, oder täuscht mich meine Erinnerung?« fragte er zögernd. Ich nickte. Er seufzte leise, und sein Gesicht nahm wieder den friedvollen Ausdruck an, den es vorher gezeigt hatte.
»Er ließ mich laufen, statt mich zu töten. Vielleicht hoffte er, daß ich den Lockvogel für meine Kameraden spielen würde. Ich weiß es nicht. Meine Erinnerung an diese Zeit ist sehr verschwommen, ich werde sie wohl nie mehr klar zurückbekommen. Du warst irgendwann da, aber du warst nicht wirklich. Du warst nur ein Teil von ihm ...« Er hielt wieder inne und schloß für Sekunden die Augen. Ich hielt die Luft an. Jetzt wußte ich, was mich an ihm störte.
»Wahrscheinlich hast du mir das Leben gerettet«, fuhr er leise fort. »Wenn du mich nicht zu ihnen gebracht hättest – es war schon fast zu spät, mußt du wissen. Akim hat Wunder vollbracht ...« Er lächelte versonnen. Ich sah mit Grausen auf sein verjüngtes Gesicht, auf die glatten Unterarme, auf die Hände ohne ihre alten Schwertnarben und hörte kaum noch auf das, was er mir erzählte.
»Ich will deinen Rücken sehen«, unterbrach ich ihn. Er verstummte und wandte das Gesicht ab. Ich wiederholte meinen Befehl.
Er hob bittend die Hände. »Laß das jetzt, Elloran. Es ist nicht wichtig. Wir müssen über so vieles miteinander sprechen!«
Ich sah ihn kalt und unbeugsam an und erwiderte nichts. Er wand sich. Dann öffnete er widerstrebend seine Jacke und zog sie aus. Ich warf einen neugierigen Blick auf ihre Säume, denn ich hatte keine erkennbaren Verschlüsse an ihnen bemerkt. Ich fühlte ihren Stoff und war beeindruckt von seiner Festigkeit und gleichzeitigen Leichtigkeit. Auch das weiße kragenlose Hemd, das er darunter trug, war aus einem feinen, weichen Stoff gefertigt, wie ich ihn noch nie zuvor gesehen hatte.
»Weiter«, forderte ich. Er neigte ergeben den Kopf und zog das Hemd aus. Ich griff nach seinen Schultern und drehte seinen Rücken ins Licht. Glatt und hellhäutig lag er vor meinen ungläubigen Augen. Nichts, keine Verletzungen, keine Narben; es war der Körper eines Mannes, der nie einen Kampf oder gar eine Auspeitschung erlebt hatte. Auch die alten Narben auf seiner Brust waren spurlos verschwunden, es hatte sie wahrscheinlich nie gegeben. Ich ließ ihn los, und er zog sich stumm wieder an.
»Erzähle weiter«, forderte ich ihn kühl auf. »Ich habe noch nicht begriffen, wie ich dich sterben sehen konnte und wie d-du es dennoch schaffst, hier neben mir zu sitzen.«
Mit abgewandtem Gesicht sprach er weiter. »Ich bin nicht gestorben, Ell. Das hat vielleicht für deine Augen so ausgesehen – sie hätten es dir ersparen müssen. Akim hat mich betäubt und Galen hat dann ... ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll ... In meinem Kopf war etwas, ein Fremdkörper, der herausmußte, weil er nicht mehr so funktionierte, wie er sollte. Er hat mich gefährdet und darüber hinaus zu einer Gefahr für meine Umgebung gemacht. Galen hat sichergestellt, daß dieses – Ding keinen weiteren Schaden in meinem Gehirn anstellt, bis Akim es endlich herausholen konnte, dort, wo sie mich hinbrachten. Dieser Vorgang hat wahrscheinlich furchterregend ausgesehen, aber es war in Wirklichkeit der erste Schritt zu meiner Heilung.« Er verstummte und sah mich eindringlich an. In seinen hellen Augen stand eine wortlose Bitte. Seine Hand legte sich schwer auf meine.
»Bitte, Elloran. Das ist alles ungeheuer schwer zu
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