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Ellorans Traum

Ellorans Traum

Titel: Ellorans Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances G. Hill
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Julian niederfuhr und nach seinen Augen hackte. Er wehrte sie hastig ab, schrie einen Fluch und sprang hoch in die Luft. Im Springen verwandelte er sich, breitete seine Flügel aus und griff den anderen Vogel heftig an. Die beiden begannen einen tödlichen Tanz über unseren Köpfen.
    Jemaina lief der Schweiß in Strömen über das emporgewandte Gesicht, und ich spürte, wie sie vor Anstrengung am ganzen Leib zitterte. Meine Kraft rann aus mir heraus wie Wasser aus einem Sieb. Die beiden kämpfenden Raben flatterten durch Blitze aus blauem und violettem Licht, kreisten lautlos umeinander, stürzten sich wieder aufeinander, trennten sich erneut.
    »Weißt du, welcher von ihnen Julian ist?« ächzte Jemaina. Ich nickte, der Schweiß lief mir in die Augen, und ich versuchte, nicht zu blinzeln. »Dann mußt du es jetzt tun, Ell. Ich kann nicht mehr lange ...« Sie stöhnte auf und drohte, in die Knie zu sinken. Ich packte sie und hielt sie fest. Ich weiß nicht, woher ich ahnte, was sie von mir verlangte, aber mit traumwandlerischer Sicherheit griff ich nach dem Dolch in meinem Gürtel und zog ihn heraus. Ich wog ihn in der Hand und zögerte. Wenn ich mich irrte ...
    »Jetzt!« schrie Jemaina, und ich schleuderte ihn mit einem hastigen Stoßgebet auf die Raben über unseren Köpfen. Er wirbelte durch die Luft. Sein Blutstein strahlte in dunklem Feuer. Der Dolch traf den Vogel, für den er bestimmt war, und ein roter Blitz blendete mich für Sekunden. Ein grauenhafter Schrei zuckte durch die Nacht, hallte vom Firmament wider und verklang nach einer schrecklichen Ewigkeit zwischen den Sternen. Ich fiel durch die endlose Dunkelheit und weinte um einen namenlosen Tod.
    Als ich wieder sehen konnte, lag Leonie wie zuvor vor unseren Füßen am Boden. Zwischen ihren gekrümmten, leblosen Fingern hielt sie eine versengte schwarzweiße Feder. Wir waren allein auf der Plattform. Jemaina kniete neben ihr nieder, und ich folgte ihr verzweifelt. Wir beugten uns über Leonie; ihre Lippen bewegten sich zitternd, und sie flüsterte fast unhörbar: »Julian?«
    Jemaina berührte sanft ihr Gesicht und sagte: »Wir haben gesiegt. Er ist vernichtet, Leonie.«
    Blutige Tränen rannen aus den geblendeten Augen. Jemaina wischte sie fort und küßte das geschundene Gesicht. Dann wandte sie sich zu mir und fragte: »Kannst du sie tragen, Elloran? Wir müssen sie hineinbringen, aber ich kann mich selbst kaum noch auf den Füßen halten.«
    Sie wandte sich um, ohne auf meine Antwort zu warten und ließ mit einer Handbewegung den Lichtkreis verschwinden. Es wurde dunkel um uns, und ich blickte ein letztes Mal in dieser Nacht auf und betrachtete den schweigenden Himmel. Dann beugte ich mich nieder, schob meine Hände unter den schmalen Körper der Magierin und hob sie mühelos auf. Es war, als besäße sie keinerlei Gewicht mehr; kaum schwerer als ihre federleichten Gewänder, lag sie in meinen Armen.
    Jemaina ging mir voraus. In ihrer Handfläche brannte ein kleines, geisterhaftes Licht und beleuchtete die Stufen der Treppe. Es schien Stunden zu dauern, bis wir hinabgestiegen waren – und Tage, bis wir an Leonies Gemächern ankamen. Vor Jemaina öffnete sich die schwere Tür, und ich folgte ihr stolpernd vor Erschöpfung hinein.
    Wir betteten Leonie auf ihr Lager. Jemaina ließ sich schwer in einen Sessel neben dem Bett fallen. Stumm blickte ich auf das dunkle Antlitz der alten Frau herab. Ihre blinden Augen schienen mich anzusehen, aber ich wußte, daß sie nie wieder etwas würde erblicken können. Hilflos griff ich nach ihrer schlaffen Hand. Sie regte sich schwach, und ein Zucken ging durch ihre Finger.
    »Laß uns allein«, murmelte Jemaina müde. »Ich werde mich um sie kümmern.« Zögernd wandte ich mich zur Tür.
    »Elloran«, hielt mich ihre Stimme auf. Ich wartete. »Du warst eine Hilfe, Kind. Eine sehr große Hilfe. Ohne dich hätten wir ihn nicht besiegen können.« Ich antwortete nicht. Zu sehr fraß die Schande an mir, daß ich ihm erneut nicht hatte widerstehen können, daß ich nur zu bereit gewesen war, ihm zu folgen. Ich nickte und ging.
    Jenka schlief nicht. Sie lag auf dem Bett und wartete. Ich sah ihr Gesicht aufleuchten, als ich eintrat. Wir hielten uns fest, und ich vergrub mein Gesicht an ihrer Schulter. Sie streichelte über meinen Kopf und fragte: »Ist es vorbei?« Ich nickte nur. Sie zog mich auf das Bett, ich barg den Kopf in ihrem Schoß und überließ mich ihren tröstenden Händen. Irgendwann muß ich einfach vor

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