Ellorans Traum
erläuterte sie. »Es ist eine recht seltene Gabe, die meisten meiner Kollegen sind dadurch sogar noch leichter zu täuschen als gewöhnliche Sterbliche.« Sie schmunzelte und sog an ihrer Pfeife. Ich mußte lachen. Sie schloß die Augen und rauchte schweigend.
»Du wirst dann ja meine Hand sein«, erkannte ich plötzlich. Ein warmes Glücksgefühl schoß durch meine Adern. »Du und Jenka!« rief ich und umarmte sie stürmisch.
»He, nicht so heftig«, mahnte sie. »Du beförderst uns beide noch über die Brüstung – und ich fliege lange nicht so gut wie Leonie!« Die Erwähnung ihres Namens dämpfte mein Hochgefühl erheblich. Ich sah Jemaina zu, wie sie still ihre Pfeife rauchte und bat die Göttin, Leonie den Weg zurück in die Welt der Lebenden zu weisen.
Endlich klopfte die Heilerin ihre Pfeife aus und erhob sich mit einem kleinen, erschöpften Laut. »Ich werde mich jetzt ein wenig hinlegen«, sagte sie. »Wenn ich vor Müdigkeit umfalle, nütze ich niemandem etwas. Im Augenblick kann ich für Leonie ohnehin nichts tun. Du solltest inzwischen Karas von allem berichten, was sich zugetragen hat.«
Ich stimmte schweren Herzens zu und begab mich in die Räumlichkeiten meines Großvaters. In seinem Arbeitszimmer stöberte ich ihn dann endlich auf. Er sah mich eintreten, und seine Augen wurden groß vor Schreck.
»Warum läufst du alleine durch die Burg?« rief er entsetzt aus. »Wo ist deine Leibwache? Weshalb hat sie dir erlaubt, dein Zimmer zu verlassen?«
Ich kniete mich neben ihn und umarmte ihn. »Es ist vorbei, Großvater. Julian ist tot, und Leonie ist sehr schwer verletzt.«
Er tat einen hastigen Atemzug. »Wo ist sie?« fragte er leise.
»Auf ihrem Zimmer. Jemaina k-kümmert sich um sie. Großvater, Jemaina ist nun die Oberste Maga. Leonie hat ihr das Amt übertragen.«
Er machte Anstalten, sich aus dem Stuhl zu erheben. Ich legte ihm besänftigend die Hand auf den Arm und bemerkte besorgt seinen schwerer werdenden Atem.
»Bitte, Großvater, reg dich nicht auf. Jemaina tut für sie, was sie kann, aber im Augenblick brauchen beide ihre Ruhe.« Er sank zurück und schloß die Augen. »Soll ich Veelora holen?« fragte ich, erschreckt über sein graues Gesicht. Er nickte schwach. Ich streichelte hilflos seine faltige Wange und lief los.
Veelora behielt wie meist die Nerven. Sie ließ sich von mir das Nötigste erklären, während wir im Laufschritt zu Karas eilten. »Du bist sicher, daß Julian tot ist?« war ihre einzige Frage. Ihre Stimme schwankte leicht, als sie sie stellte. Ich erinnerte mich an den Schrei, den der Magier ausgestoßen hatte und nickte schaudernd. Wir traten in Karas' Arbeitszimmer und fanden ihn über seinen Schreibtisch gebeugt. Er hatte das Gesicht in den Händen verborgen und atmete schwer und schluchzend.
Veelora kniete sich neben ihn. »Was ist dir, Liebster?« fragte sie angstvoll und warf mir einen scharfen Blick zu.
»Soll ich Jemaina w-wecken?« fragte ich schnell, aber sie hieß mich warten. Sie umschlang seine Schultern und legte ihre Stirn an seine. Ich hörte ihr Flüstern und seine erstickten Antworten, ohne die Worte zu verstehen. Endlich blickte sie auf und schickte mich mit einem leisen, beruhigenden Kopfschütteln hinaus.
Ich schloß leise die Tür hinter mir und wanderte ziellos durch die Gänge. Meine Füße trugen mich den gewohnten Weg in den Rosengarten, und ich fand mich schließlich beim Labyrinth wieder, ohne zu wissen, wie ich dorthin gelangt war. Ich sah auf die zerhauenen Hecken, die von den emsigen Gärtnern der Krone schon fast vollständig repariert worden waren und trat wie eine Schlafwandlerin in den Irrgarten hinein. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber wie in einem Traum nahm ich es vollkommen gelassen hin, daß dort im Zentrum ein Mann auf mich wartete, der eigentlich hätte tot sein müssen. Er sah mir entgegen, und sein Blick verriet nicht, was er fühlte. Wortlos setzte ich mich neben ihn und wartete.
»Du siehst müde aus«, sagte Nikal zurückhaltend. »Ist etwas geschehen?«
»Julian ist tot«, antwortete ich genauso. »Leonie liegt im Sterben. Mein Großvater hatte einen seiner Anfälle, und du bist wieder hier, obwohl ich immer noch nicht weiß, wie das eigentlich möglich ist. Aber sonst ist alles beim Alten.« Er gluckste überrascht. Das Geräusch riß mich aus meiner seltsamen Lethargie. Ich packte ihn und krallte meine Finger in seine Oberarme. Er verzog keine Miene, obwohl mein Griff ihn schmerzen mußte.
»Ich
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