Ellorans Traum
frage dich noch einmal«, flehte ich ihn an. »Was für ein Wesen bist du? Wer schickt dich? Sollst du mich um meinen Verstand bringen?« Mein Gesicht war dicht an seinem, und er erwiderte meinen Blick seltsam unpersönlich.
»Du weißt, wer ich bin«, antwortete er ruhig. »Warum willst du es nicht glauben, Kind?« Ich ließ ihn los und wandte meine Augen ab. Seine Hand legte sich auf meine Schulter und drückte sie sacht.
»Ich glaube nichts mehr«, sagte ich hart. »Ich bin zu oft getäuscht worden. Von meinen Großeltern, von Tom, von Julian, von meinen eigenen Wahrnehmungen. Ich habe geglaubt, T'svera zu sein; ich habe geglaubt, daß Cesco mich liebt; ich habe geglaubt, deinen seltsamen Freunden vertrauen zu können ...«
Der Druck seiner Hand wurde stärker. Er zwang mich, ihn anzusehen. »Ich habe dich ebenso belogen und verraten wie alle anderen. Das meinst du doch, oder?« Sein kalter Blick erwärmte sich unmerklich, und der unerbittliche Zug um seinen Mund wurde weicher. »Warum machst du es dir immer noch so schwer?« fragte er leise. »Du verzeihst dir selbst nicht, Elloran, ist es nicht so?«
Ich biß die Zähne zusammen. Er lächelte verhalten, und ich suchte darin nach Spott. Aber er weigerte sich, meinen zornigen Erwartungen zu entsprechen.
»Meine Freunde sind zurück«, sagte er gelassen. »Ich werde mit ihnen fortgehen. Ich möchte meine Heimat wiedersehen, ich war zu lange fort. Und meiner Jihhan geht es mit Sicherheit genauso. Wir sehen uns wahrscheinlich bald zum letzten Mal, Tochter. Wenn du dich also noch mit mir aussprechen willst, mußt du dich schnell dazu entschließen.« Er stand auf und ging ohne ein weiteres Wort fort. Versteinert blickte ich ihm nach. Wie hatte er mich gerade genannt?
»Nikal«, schrie ich aus vollem Hals und rannte hinter ihm her. »Nikal!« Ich kam hinaus in den Garten und sah mich wild um. Sein schlanker Rücken verschwand gerade zwischen zwei Büschen. Ich hetzte hinterher, immer noch seinen Namen rufend. Hinter der Ecke wartete er auf mich, blickte mir schweigend entgegen, als ich keuchend herankam.
»Ist das wahr?« japste ich. »Ist das wirklich wahr?« Er antwortete nicht, sah mich nur stumm an. Ich hob meine Faust wie zum Schlag in sein alt-junges Gesicht und schrie: »Warum hast du es mir n-nie gesagt?«
Er fing meine Hand ab und zog mich an sich, obwohl ich mich dagegen sträubte. »Hätte ich es dir sagen sollen?« flüsterte er sanft in mein Ohr. »Hätte ich dir zu allem anderen auch noch das Wissen aufbürden sollen, daß du ein Bastard bist?«
Empört riß ich mich los. In seinen Augen konnte ich klar und deutlich das Bewußtsein seiner Schuld lesen. Er hob bittend seine Hände. »Elloran, bitte versetze dich doch in meine Lage. Wie hätte ich es dir denn erklären sollen? Ich war der Gefolgsmann deines Vaters und der Spion deiner Großmutter, und ich habe deine Mutter ...« Ich schrie auf und schlug mit aller Kraft zu. Er taumelte zurück und schüttelte benommen den Kopf. Seine Nase begann heftig zu bluten.
»Du! Du bist der Schlimmste von allen! Gegen dich war ja sogar Julian ein Ehrenmann!« Wieder schlug ich auf ihn ein. Er packte meine Handgelenke, und wir rangen miteinander. Schließlich zwang ich ihn zu Boden, was mir in keiner unserer früheren Raufereien je gelungen war, und stand schwer atmend über ihm. Er lag auf dem Rücken und sah zu mir auf. Sein Gesicht war blutverschmiert, ein Auge begann zuzuschwellen, und sein ganzer Körper bebte. Zuerst glaubte ich, er weine, ehe ich fassungslos einsehen mußte, daß ihn ein ungeheures, stummes Gelächter schüttelte. Ich stieß einen wortlosen Laut des Abscheus aus und warf mich neben ihm auf die zertrampelte Erde, um ebenfalls in hilfloses Lachen auszubrechen. Wir hielten uns in den Armen und ließen uns von einem wahren Ozean des Gelächters davonspülen.
»Du bist inzwischen wahrhaftig stärker als ich«, keuchte er und wischte sich die Lachtränen fort. Dabei verschmierte er das angetrocknete Blut über sein ganzes Gesicht, und dieser Anblick ließ mein eben versiegendes Lachen wieder aufbrodeln. Ich schnappte heftig nach Luft und versuchte, sein Gesicht mit meinem schmuddeligen Taschentuch zu säubern. Doch damit machte ich alles nur noch schlimmer. Er nahm mir das Tuch fort und wischte selber an sich herum. Dann gab er es auf und legte seinen Arm um mich. »Ich bin stolz auf dich«, sagte er verlegen.
»Du hast dir immer eine Tochter gewünscht, die dir die Nase blutig haut,
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