Ellorans Traum
einen Fuß vorzustellen versuchte. »Bei allen Geistern, komm da raus, Jen!« Sie schob sich folgsam unter dem Gestell hervor; der Aufenthalt dort hatte sie nicht sauberer gemacht, im Gegenteil. Ich nahm mir fest vor, künftig auch unter dem Bett zu kehren. Meine Großmutter verbiß sich ein Lachen. Jenka wischte sich würdevoll etliche Staubflocken und eine beleidigte Spinne aus dem Gesicht und versuchte sich an einer Art Hofknicks. Veelora erwiderte den ungeschickten Gruß mit einer feierlichen Verbeugung, und ich rechnete es ihr im stillen hoch an, daß sie sich dabei nicht über Jenka lustig machte.
»Du bist eine Freundin von Elloran?«
»Sie ist meine beste Freundin«, mischte ich mich mit Nachdruck ein. »Sie möchte dich etwas fragen, Großmutter.« Veelora sah sie freundlich fragend an. Jenka suchte offensichtlich eingeschüchtert nach Worten.
»Jenka möchte Soldatin werden. Würdest du sie mit dir nehmen und ausbilden?« nahm ich die Sache in die Hand.
Jenka trat mir erbost auf den Fuß. »Doch nicht so mit der Tür ins Haus«, zischte sie, wunderbarerweise wieder der Sprache mächtig.
Großmutter musterte sie streng. »Sind deine Eltern damit einverstanden?«
»Meine Mutter? Ja, domna . Sie weiß, wie sehr ich mir das wünsche.«
»Gut, dann wollen wir es miteinander versuchen. Ich gehe aber zuerst zu deiner Mutter und rede mit ihr.« Veelora schmunzelte über Jenkas höflich gedämpfte Begeisterungsschreie. »Allerdings müßtest du morgen schon mit uns reiten«, setzte sie hinzu. Die beiden hockten sich auf mein Bett und besprachen die Einzelheiten der Abreise und die Bedingungen der Ausbildung. Mir war mulmig zumute. Ich hatte nur daran gedacht, Jenka zu helfen, mir aber in meinem Überschwang nicht vorgestellt, daß sie sofort abreisen würde. Wir hatten doch eigentlich gemeinsam gehen wollen ...
Es war plötzlich sehr still in der Kammer. Zwei Gesichter, ein dunkles und ein helles, sahen mich besorgt an. Ich zwang mich zu einem unechten Lächeln, das meinen Wangen weh tat. »Ich freue mich für dich, Jen. Ich komme so bald wie möglich nach, das verspreche ich dir.«
Großmutter klopfte mir sacht auf die Schulter. »Laß den Kopf nicht hängen, Elloran. Der Winter ist schnell vorüber, und im Frühjahr schicke ich sofort nach dir.« Sie lächelte mich aufmunternd an. Ich nickte tapfer und sah ihr zu, wie sie die Tür öffnete und vorsichtig in den Gang hinausspähte. Jenka kam noch einmal zurück, um mich fest zu umarmen, dann schloß sich die Tür, und ich war allein mit mir und meinen trüben Gedanken.
Jenka und die Frauen von Kerel Nor verließen die Burg am Morgen des nächsten Tages. Ellemir hatte mir Amnestie gewährt, damit ich meine Großmutter verabschieden konnte. Großmutters Soldatinnen waren noch nicht aufgesessen, aber Jenka saß schon auf einem kräftigen kleinen Apfelschimmel, der unruhig hin- und hertänzelte. Sie trug Reithosen und ein Lederkoller wie die anderen und wirkte darin sehr erwachsen und fremd auf mich. Aufregung und Stolz standen ihr deutlich ins glühende Gesicht geschrieben. Ich beneidete sie so sehr, daß es schmerzte.
Großmutters Abschied von meinen Eltern fiel recht kühl und kurz aus. Sie befahl ihren Frauen aufzusitzen und bahnte sich den Weg zu mir. Ihr Gesicht war liebevoll und mitfühlend, als sie mich umarmte. »Keine Sorge, im Frühling hörst du von mir«, flüsterte sie mir ins Ohr. »Und hüte dich vor Zauberern!«
Sie drückte mich noch einmal fest an sich, dann stieg sie in den Sattel ihrer roten Stute und gab das Zeichen zum Aufbruch. Die Schar trabte in einer großen Staubwolke zum Tor hinaus. Ich sah noch einen Schimmer von Jenkas winkender Hand, dann waren sie fort.
4
D er Herbst, der so schön begonnen hatte, endete naß und stürmisch. Ich war zu meinen alten Beschäftigungen zurückgekehrt. Julian hatte sich in der letzten Herbstwoche endlich wieder auf Salvok eingefunden, noch eine Spur schweigsamer und menschenscheuer als zuvor. Er bestand darauf, daß ich den durch seine Abwesenheit versäumten Unterricht nachholte. Es war mir nur zu recht, wie mir alles recht war, was mich von der schmerzhaften Leere ablenkte, die Jenkas Abwesenheit verursachte. Ich vermißte sie unsagbar. Da waren Julians steigende Ansprüche an meine Fortschritte hilfreich, denn seine Lektionen ließen mir kaum Zeit für fruchtlose Grübelei.
Inzwischen durfte ich mich auch an schwierigeren Zaubern versuchen, hatte Julian aber versprechen müssen, sie
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