Ellorans Traum
konnte. Schließlich riß ich in meiner Panik das Laken von meinem Bett und schleuderte es ihr zu. Es landete auf ihrem Kopf, und sie fluchte herzhaft, weil sie nun zu allem Überfluß auch noch vollständig blind war. Vorsichtig zog ich das Laken wieder zurück und hängte mich weit hinaus, um ihr meine Hand zu reichen. Jenka klebte an der Wand, als hätte sie Saugnäpfe an Händen und Füßen und schob sich stetig immer weiter in meine Richtung. Endlich war sie nah genug, daß ich ihr Handgelenk packen und sie das letzte Stück zu mir herüberzerren konnte.
Keuchend und erhitzt, mit sich aufgeregt in alle Richtungen sträubenden Locken, hockte sie unter meinem Fenster auf dem Boden und saugte an ihren aufgeschürften Fingerknöcheln. Ich beschimpfte sie heftig für ihren Leichtsinn, aber sie lachte nur. »Was willst du, es hat doch geklappt.«
»Was gibt es denn nun für weltbewegende Dinge, die du mit mir bereden mußt, daß du deswegen riskierst, dir alle Knochen zu brechen?«
»Hast du die Soldatinnen gesehen?« Ich stöhnte. Natürlich, Großmutters Gefolge war Wasser auf den Mühlen ihrer Träume!
»Klar habe ich sie gesehen. Meine Großmutter befehligt sie.« Ich muß zugeben, daß eine kleine Portion Stolz bei diesen Worten mitschwang. Jenka sprang auf wie von einem Schwarm Ameisen gebissen und ruderte wild mit den Armen.
»Du mußt mich ihr vorstellen! Du mußt mich ihr unbedingt vorstellen!«
Ich preßte ihr eine Hand auf den Mund. »Schrei doch nicht so! Wenn dich einer hört ...« Jenka blubberte etwas und nickte heftig. Ich ließ sie los und horchte an der Tür. Auf dem Gang rührte sich nichts, Göttin sei Dank. Wir hockten uns nebeneinander auf mein Bett und flüsterten miteinander.
»Was willst du denn überhaupt von meiner Großmutter?«
»Ich will sie fragen, ob sie mich mitnimmt und ausbildet.« Ihre Augen blitzten kriegerisch und begeistert. Mir verschlug es die Sprache.
»Du willst hier weg?« stotterte ich schließlich.
Jenka griff aufgeregt nach meinem Arm. »Komm doch mit, Ell. Das wäre fein, meinst du nicht?« Ihre Begeisterung steckte mich an. Das wäre wirklich fein! Großmutter wäre bestimmt einverstanden, allerdings würde es ein hartes Stück Arbeit bedeuten, meinen Eltern die Zustimmung zu diesem Vorhaben abzuringen.
Es klopfte. Ich schnappte erschreckt nach Luft und schubste Jenka vom Bett. Sie plumpste auf den Boden und quiekte empört auf. »Versteck dich!« Ich hatte es kaum ausgesprochen, da schlängelte sie sich schon unter das niedrige Bettgestell. Meine Großmutter, die es wohl satt hatte, auf meine Einladung zu warten, öffnete die Tür und trat ein.
Verschwörerisch legte sie einen Finger auf den Mund und flüsterte: »Deine Mutter weiß nichts von meinem Besuch, also sei bitte leise.« Ich spürte ein unbändiges Kichern in mir aufsteigen. Heute schienen sich alle verschworen zu haben, mich heimlich in meiner Haft zu besuchen.
»Ich werde in Kürze abreisen und wollte vorher noch mit dir sprechen. Wahrscheinlich hebt Ellemir deinen Stubenarrest erst auf, wenn ich fort bin.« Sie kniff den Mund zusammen, als hätte sie unvermutet in etwas Saures gebissen. »Meine Einladung war ernst gemeint, Elloran. Ich würde dich gerne besser kennenlernen. Es wäre schön, wenn du eine Zeitlang bei mir leben könntest.«
»Ich glaube nicht, daß meine Eltern mich hier so bald weglassen«, entgegnete ich traurig. Veelora wiegte zustimmend den Kopf.
»Ich lasse mir etwas einfallen«, sagte sie zuversichtlich. »Über den Winter werde ich mich wahrscheinlich in Kerel Nor aufhalten, es ist keine gute Zeit zum Reisen. Im Frühling breche ich zur Kronenburg auf und bleibe dort bestimmt bis zum Ende des Herbstes.« Sie klopfte mit dem Zeigefingernagel gegen ihre Zähne und überlegte. Dann schnippte sie mit den Fingern und stieß ein kurzes Lachen aus. »Ich werde die Krone davon überzeugen, daß mein einziger Enkel im richtigen Alter für eine Einführung bei Hofe ist. Einer persönlichen Einladung der Krone können deine Eltern kaum etwas entgegensetzen!«
Ich umarmte sie wortlos. Veelora rieb sich vergnügt die Hände und wandte sich zur Tür.
»Ach, übrigens«, verharrte sie, »willst du mir nicht deinen Freund vorstellen?« Ich folgte ihrem Blick zum Fußende meines Bettes und sah einen nackten, schmutzigen Fuß darunter hervorragen.
»O – äh – ja, selbstverständlich. Das ist – nun ...« Ich kam mir reichlich albern vor, wie ich dastand und meiner Großmutter
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