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Ellorans Traum

Ellorans Traum

Titel: Ellorans Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances G. Hill
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einen unnennbar langen Zeitraum still und dunkel um mich.
    Eine Stimme rief mich aus dem Dunkel, die Stimme meiner Mutter – oder doch nicht? Ich sah ihr Gesicht vor mir, jünger, gerade so alt wie ich selbst. Ein flehender Blick aus ihren Augen traf mich, und es waren meine eigenen Augen: dunkelblau, nicht grün wie die Ellemirs.
    »Hilf mir, Elloran«, erklang wieder ihre Stimme, und es war meine eigene – oder doch nicht? Ich wollte zu ihr, aber ich steckte bis zu den Hüften in eisigkaltem schwarzen Marmor und konnte mich nicht bewegen. Sie streckte ihre Hände nach mir aus, und auf ihrem verzweifelten Gesicht glänzten Tränen.
    »Hilf mir doch! Sie wollen uns trennen!«
    »Wer? Wer will das tun?« schrie ich. Ein schwarzer, gestaltloser Schatten griff nach ihr und ließ ihre Gestalt verschwimmen. Sie erschien mir so fremd und gleichzeitig so vertraut. Schwach drang ihre Stimme an mein Ohr: »O hilf mir doch! Du bist der einzige, der mich retten kann! Laß nicht zu, daß sie mich für immer fortschicken!«
    »Wer bist du?« rief ich verzweifelt ihrer verschwindenden Gestalt hinterher.
    »Ell ...«, verwehte ihre Stimme in der Nacht, und ich wußte nicht, hatte sie nach mir gerufen oder war die gehauchte Silbe der Anfang ihres Namens gewesen? Das Gefühl eines ungeheuren Verlustes drückte mich zu Boden. Ich weinte kalte Tränen, die an meinen Wangen zu Eis erstarrten und wie blitzende Diamanten zu Boden fielen. Teilnahmslos sah ich zu, wie sich mein Körper in schwarzen Marmor verwandelte. »T'svera«, flüsterte hämisch etwas in meinem Kopf. »T'svera!« Der schwarze Stein griff nach meinem Gesicht, kroch über Kinn und Wangen und berührte meine Augen. Blind und fühllos stand ich in der unendlichen Schwärze, ohne Hoffnung und ohne Angst.
    Eine fremde Stimme fragte: »Warum forderst du mich gerade jetzt heraus, Schüler? Meinst du nicht, das ist zu früh?«
    Eine andere Stimme lachte leise und antwortete: »Im Gegenteil, verehrte Meisterin. Ich befürchte fast, es könnte zu spät sein. Weigerst du dich, meine Herausforderung anzunehmen?«
    »Aber nein« , entgegnete die Frauenstimme sanft. »Ich freue mich sogar darauf.«
    Sanfte Hände strichen über meinen Kopf, fuhren durch mein Haar. Ich blinzelte und sah in das blasse Gesicht meiner Mutter. Meine trockenen Lippen versuchten vergeblich, Worte zu formen. Ellemir schrie leise auf und beugte sich tiefer über mein Lager. Ihr Gesicht war müde und sorgenvoll, aber in ihren Augen flackerte Hoffnung.
    »Elloran! Du bist wach?« Ich krächzte schwach und nickte. Sie schluchzte auf und bedeckte mein Gesicht mit Küssen. Mein Blick wurde allmählich klarer, und ich konnte den Raum um mich herum erkennen. Es war die Kemenate meiner Mutter und ihr eigenes Bett, in dem ich lag. Hinter ihr stand Malima, die Hände vor dem Mund gefaltet und Tränen der Freude auf ihrem lieben, alten Gesicht. Eine blasse Sonne schien herein, und der Raum sah friedlich und heimelig aus. Mir war, als wäre ich von einer endlosen Reise zurückgekehrt. Mit einem zufriedenen Seufzen ließ ich den Kopf in die Kissen zurücksinken und fiel in einen traumlosen, heilsamen Schlaf, der keinerlei Ähnlichkeit mit den dunklen Bewußtlosigkeiten der vergangenen Zeit aufwies.
    Schritt für Schritt kehrte ich in meine Welt zurück. Ich war schwach wie ein Säugling, aber mit jedem verstreichenden Tag fühlte ich mich kräftiger. Bald konnte ich für kurze Zeit aufstehen und in eine warme Pelzdecke gehüllt am Fenster sitzen. Jemaina, die mehrmals täglich nach mir sah, wie sie es auch während der Wochen meiner Krankheit getan hatte, ließ bald Besuch für mich zu. Julian kam häufig vorbei und las mir vor.
    »Damit du nicht alles wieder vergißt, was du gelernt hast«, sagte er mit einem Zwinkern. Nikal sah täglich zwischen seinen Diensten nach mir und brachte mir den neuesten Burgklatsch mit. Nach und nach erfuhr ich, daß ich wahrhaftig den gesamten Hohen Winter lang zwischen Leben und Tod gehangen hatte wie ein Bergsteiger über einem Abgrund. Keiner konnte mir sagen, welcher Art dieses Fieber gewesen war, und noch weniger, warum es mich aus seinen Klauen entlassen hatte. Jetzt mußte ich wie ein kleines Kind erst wieder laufen lernen. Nikal versprach, mich bald wieder in Form zu haben, wenn ich erst einmal so weit gekräftigt sei, daß ich nicht nach drei oder vier Schritten nach Luft ränge wie ein alter Mann. Er lachte, doch seine Augen blieben seltsam kalt und unbeteiligt dabei.
    Während

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