Ellorans Traum
über die Ränder des auf seiner Nasenspitze thronenden Gestells hinweg. Ich stellte begeistert fest, daß das Ding mit Hilfe von zwei Drahtbügeln an seinen Ohren befestigt zu sein schien.
Der Kammerherr wirkte leicht verschnupft. »Es war nicht gar so einfach, überhaupt einen des Schreibens kundigen Burschen aufzutreiben, Meister Rowald«, verteidigte er sich beleidigt. »Wäre es dir lieber gewesen, einem allzu redseligen Schüler erst einmal das Alphabet beibringen zu müssen?« Die beiden Männer grinsten sich verständnisinnig an. Dann griff Meister Rowald mit einer mageren Hand nach meinem Ellbogen und schob mich zu einem der leeren Schreibpulte.
»Sehen wir uns erst einmal an, wie es um deine Handschrift bestellt ist«, sagte er und wischte mit dem Ärmel den Staub vom Tisch. Seine lange Jacke machte den Eindruck, als würde sie in dieser Weise häufiger zweckentfremdet. Der Kammerherr, vergessen und am Pult stehengelassen wie ein lästiger Bittsteller, nickte uns knapp zu und ging hinaus. Ich hörte das regelmäßige Klacken seines Stockes sich auf dem Gang entfernen. Inzwischen hatte Rowald mir Tinte und Feder bereitgelegt und ein Federmesser, einen kleinen Lappen und einige Blätter Papier, teils beschrieben, teils leer, aber bereits liniert, von einem der anderen Pulte geholt. Ich bemerkte, daß einer der Schreiber in meiner Nähe aufgehört hatte, die Feder über das Papier zu führen und zu mir hersah. Ich sah ihn an, und er nickte mir freundlich zu. Dann neigte er erneut seinen Kopf über die Arbeit. Rowald hatte seine umständlichen Vorbereitungen nun beendet und klopfte leicht mit den Fingern auf den Tisch, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
»Siehst du dieses Schreiben, junger Mann?« Er tippte mit seinem spitzen Zeigefinger auf ein eng beschriebenes Blatt. Ich nickte ergeben. Hielt er mich auch noch für blind? »Ich möchte, daß du es kopierst. Meinst du, daß du das kannst?« Ich nickte wieder, leicht erheitert von seinen Fragen. »Gut, dann lasse ich dich jetzt arbeiten.« Er wandte sich ab und beugte sich über die Arbeit eines der anderen Schreiber. Ich tunkte die Feder ein, strich sie säuberlich ab und schrieb:
Beglaubigung
Es handelte sich um ein langes, unendlich geschraubtes Elaborat aus der Feder irgendeines mit der Sprache gewöhnlicher Sterblicher offensichtlich auf dem Kriegsfuß stehenden Beamten, das mich zu Tränen langweilte. Aber ich bemühte mich, das Machwerk penibel in all seiner sprachlichen Scheußlichkeit abzuschreiben. Mir lag wenig daran, wegen Unfähigkeit oder Nachlässigkeit wieder ins Arbeitshaus zurückgeschickt zu werden. Endlich hatte ich es bis zur verschnörkelten Fußnote geschafft, legte aufatmend die Feder beiseite und blickte auf. Meister Rowald stand an seinem Pult und blickte durch die merkwürdige Konstruktion auf seiner Nase auf ein Bündel wichtig aussehender Schriftstücke in seiner Hand nieder. Von einem meinte ich, das Siegel der Krone herabhängen zu sehen. Ich hob die Hand, und er sah zu mir herüber.
»Ja? Hast du ein Problem?« Er stieg steifbeinig von seinem Podest herunter und kam zu mir. Die Hände auf den Rücken gelegt, beugte er sich über meine Arbeit, die ich ihm hingeschoben hatte. Er ruckte an dem Gestell vor seinen Augen und räusperte sich einige Male. »Hm. Hmhm. Hmmm.« Endlich blickte er auf und nickte mir ernst zu.
»Schön, sehr schön, junger Mann. Sehr ordentlich, eine gut leserliche Schrift. Und in einer durchaus angemessenen Zeit, das muß ich sagen. Ja. Das wird den Kammerherrn außerordentlich freuen.« Er räusperte sich wieder, und sein Adamsapfel rutschte den langen, faltigen Hals auf und ab. Der Schreiber, der mir eben zugelächelt hatte, sah wieder herüber und grinste breit und etwas boshaft. Dann zwinkerte er mir zu und wandte sich wieder ab. Meister Rowald hatte inzwischen das Originalschreiben und meine Kopie vom Tisch eingesammelt und mir einige weitere Blätter bereitgelegt. Dann klopfte er mir väterlich auf die Schulter und krächzte: »Immer weiter so, mein Junge. Immer weiter so.«
Es wurde dämmrig. Ein Diener entzündete die Lampen auf unseren Tischen. Das beständige Kratzen der Federn war während des ganzen Nachmittages die Grundlage gewesen, auf der das leise Hüsteln und die gelegentlichen halblauten Anweisungen des Meisters, Rascheln von Papier und Klappen von Schranktüren und die hin und wieder eintretenden Botenjungen mit zu kopierenden Schreiben die einzigen kleinen
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