Ellorans Traum
Kutscher warf mir einen verächtlichen Blick zu und wies nur mit dem Kinn auf den Bock. Gehorsam schwang ich mich darauf und ließ unauffällig den angehaltenen Atem ausströmen, als jetzt die Pferde antrabten. Insgeheim hatte ich damit gerechnet, daß jemand mich zurückhalten würde oder aber der Kammerherr es sich noch anders überlegte und mich wieder hineinschickte – aber jetzt waren wir wahrhaftig auf dem Weg, der zur Burg führte!
Wir passierten anstandslos das Tor, an dem ich vor Wochen gescheitert war, und rollten durch den äußeren Burghof zur Inneren Mauer. Dort sprang der Kutscher vom Bock und verschwand für kurze Zeit im Torhaus. Er kehrte mit einem Soldaten zurück, der diensteifrig auf die Kutsche zueilte und den Kopf hineinsteckte. Er empfing offenbar einige Anweisungen, denn er trat salutierend einen Schritt zurück und schnarrte zackig: »Zu Befehl, domu Karas!«
Wir rollten durch das aufgezogene Tor in den Haupthof der Kronenburg. Ich sperrte Mund und Nase auf und gaffte so angestrengt in die Runde, daß mir die Augen zu tränen begannen. Die mächtigen Außenmauern hatten die wahren Ausmaße der eigentlichen Burg nur schwach erahnen lassen. Gegen diese prachtvollen, gewaltigen Bauten nahm sich meine väterliche Burg aus wie ein Kaninchenbau.
Die Kutsche schwenkte elegant um einen Stallknecht herum, der drei ausnehmend edle Rösser über den Hof führte, und rollte an einer prächtigen Freitreppe vorbei, die sicher zur Haupthalle der Kronenburg hinaufführte. Vor einem der schlichteren Nebengebäude riß der Kutscher die Tür der Kutsche auf und half seinem rundlichen Herrn heraus. Ich stieg vom Bock und stand etwas verloren da. Der Kammerherr hinkte auf den Eingang zu und hatte meine Existenz augenscheinlich völlig vergessen. Erst in der Tür schien er sich meiner zu erinnern und winkte mir, ich möge ihm folgen. Ich trabte hinter ihm her in das Gebäude. Sein Stock schlug hallend auf die Steinfliesen eines von Türen gesäumten Ganges, durch den wir gingen.
»Ich führe dich zuerst zur Schreibstube«, erklärte er mir kurzatmig. »Dort wirst du von Meister Rowald in deine Arbeit eingewiesen. In der Zwischenzeit lasse ich dir eine Kammer herrichten und anständigere Kleidung besorgen. Meister Rowalds Anweisungen ist in jeder Hinsicht Folge zu leisten, hast du mich verstanden?« Ich nickte matt, geschwächt von den Aufregungen dieses Tages. Er sah mich aufmerksam an und lächelte plötzlich. Die unvermutete Wärme in seinem Blick überraschte mich nicht wenig.
»Wenn ich dich richtig einschätze, wird dir die Arbeit hier gefallen«, sagte er nüchtern, wieder so ernst und geschäftig wie zuvor. »Es ist eine gute Stelle für einen aufgeweckten jungen Mann und bietet sehr schöne Aufstiegsmöglichkeiten, wenn du dich anstellig zeigst.« Ich verbarg ein Schmunzeln. Schöne Aufstiegsmöglichkeiten in der Schreibstube waren nicht gerade das, was ich mir immer für mein Leben erhofft hatte. Dennoch fühlte ich mich von dieser unverhofften Freundlichkeit seltsam angerührt.
Wir hielten vor einer der vielen Türen, die sich glichen wie ein Ei dem anderen, und der Kammerherr pochte mit dem Knauf seines Stockes dagegen. Eine dünne alte Stimme rief: »Nur herein!« Wir betraten einen weitläufigen Raum mit großen Fenstern, in dem mehrere Reihen dunkler Schreibpulte standen und dessen Wände von unzähligen Schränken gesäumt waren. Nur wenige der Pulte waren besetzt, die meisten standen verwaist und mit einer dünnen Staubschicht bedeckt da. Es war still, nur das leise Kratzen von Federn auf Papier flüsterte durch den Raum.
Gegenüber den Pultreihen stand erhöht auf einem Podest ein einzelnes Stehpult, von dem aus uns ein mageres, weißhaariges Männchen entgegenblickte. Auf seiner spitzen Nase saß ein dünnes Drahtgestell, an dem kleine, blitzende Glasscheiben befestigt waren. Neugierig fragte ich mich, wozu dieses Gerät wohl dienen mochte und was es auf der Nase hielt, aber der Kammerherr unterbrach meine müßigen Spekulationen. Er schob mich auf das Pult zu und sagte: »Dies ist dein neuer Schreiberlehrling, Meister Rowald. Er heißt Elloran.« War da eine seltsame Betonung in seiner Stimme? »Er ist stumm, aber mir wurde versichert, daß er fleißig und anstellig sei.«
Das Männchen stieß ein krächzendes Kichern aus und reichte mir eine trockene Hand zur Begrüßung. »Ein stummer Schreiber? Das ist ein Meisterstück, Karas!«
Er musterte mich mit scharfen, schwarzen Knopfaugen
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