Elric von Melnibone
die Gangway herausgenommen war. Mit langsamen Bewegungen löste Yyrkoon die Stifte und beförderte das Stück Reling mit einem Tritt ins Wasser.
Elrics Bemühungen, sich zu befreien, waren nun von Verzweiflung bestimmt. Aber er konnte sich kaum noch rühren.
Yyrkoon dagegen schien plötzlich von unnatürlichen Kräften beseelt zu sein. Er bückte sich und schleuderte die Leiche mühelos von Elric.
»Yyrkoon«, sagte Elric, »das ist unklug gehandelt.«
»Ich bin noch nie ein vorsichtiger Mann gewesen, Cousin, das weißt du.« Yyrkoon trat Elric in die Rippen und stieß ihn auf die Lücke in der Reling zu. Elric sah das schwarze Meer, das sich darunter bewegte. »Leb wohl, Elric. Nun wird ein echter Melniboneer auf dem Rubinthron sitzen. Und wer weiß, vielleicht macht er sogar Cymoril zu seiner Königin! Ohne Beispiel wäre das nicht.«
Und Elric spürte, wie er stürzte, wie er ins Wasser klatschte, spürte, wie die Rüstung ihn in die Tiefe zog. Und Yyrkoons letzte Worte dröhnten ihm in den Ohren wie das beharrliche Pochen der Wogen an den Flanken der goldenen Kampfbarke.
ZWEITES BUCH
Der Albinokönig ist sich seiner selbst und seines Geschicks weniger gewiß denn je; gezwungenermaßen muß er nun seine Zauberkräfte ins Spiel bringen, in dem Bewußtsein, daß er damit Handlungen einleitet, die keinesfalls der Art und Weise entsprechen, wie er sein Leben eigentlich leben wollte. Und jetzt müssen die offenstehenden Rechnungen beglichen werden. Er muß zu herrschen beginnen. Er muß grausam sein. Aber selbst darin, so muß er feststellen, stehen ihm größere Kräfte entgegen.
1
DIE HÖHLEN DES MEERESKÖNIGS
Elric sank schnell in die Tiefe, verzweifelt bemüht, den letzten Atem zu halten. Kraft zum Schwimmen hatte er nicht mehr, und das Gewicht der Rüstung machte jede Hoffnung zunichte, wieder an die Oberfläche zu steigen, um von Magum Colim oder einem anderen ihm noch loyal Gesinnten entdeckt zu werden.
Das Brausen in seinen Ohren sank allmählich zu einem Flüstern ab, das sich anhörte, als sprächen leise Stimmen auf ihn ein, Stimmen der Wassergeister, mit denen ihn in seiner Jugend eine Art Freundschaft verbunden hatte. Der Schmerz in seinen Lungen ließ nach; der rote Nebel vor seinen Augen hellte sich auf, und er glaubte Gesichter zu sehen - sein Vater Sadric, Cymoril und ganz kurz auch Yyrkoon. Einfältiger Yyrkoon: Sosehr er sich als stolzer Melniboneer sah, fehlte ihm doch melniboneische Raffinesse. Er handelte so brutal und direkt wie viele Barbaren aus den Jungen Königreichen, die er so sehr verabscheute. Nun war Elric seinem Cousin beinahe dankbar. Sein Leben war zu Ende. Die Konflikte, die ihn innerlich zerrissen hatten, konnten ihn nicht mehr beunruhigen. Seine Ängste, seine Zweifel, seine Liebes- und Haßgefühle gehörten nun alle der Vergangenheit an - nur Vergessen lag vor ihm. Als der letzte Atemhauch seinen Körper verließ, gab er sich ganz dem Meer hin: Straasha, dem Lord aller Wassergeister, einst Freund des melniboneischen Volks. Im gleichen Augenblick erinnerte er sich des alten Zauberspruchs, den seine Vorfahren benutzt hatten, um Straasha zu rufen. Der Spruch zuckte ungewollt durch sein sterbendes Gehirn.
Wasser der Meere, ihr erschufet uns Weise, Wart unsere Milch, wart unsere Speise, Als der Himmel sich deckte ein, Wart die ersten und werdet die letzten sein.
Ihr Seelords, Väter unseres Blutes, Eure Hilf erfleh ich guten Mutes, Euer Salz ist Blut, unser Blut Euer Salz, Euer Blut ist unser, Straasha erhält's.
Straasha, ew'ger König, ew'ges Meer, Deine Hilfe erfleh' ich sehr, Ich erbitte Deinen mächtigen Segen, Denn Feinde woll'n unser Meer trockenlegen.
Entweder hatten die Worte eine alte, symbolische Bedeutung, oder sie bezogen sich auf ein Ereignis der melniboneischen Geschichte, von dem nicht einmal Elric gelesen hatte. Obwohl ihm die Worte kaum etwas bedeuteten, wiederholten sie sich unentwegt, während sein Körper immer tiefer im grünen Wasser versank. Noch als die Schwärze ihn überwältigte und seine Lungen sich mit Wasser füllten, hallten die Flüsterworte weiter durch die Korridore seines Verstandes. Komisch, daß er als Toter diesen Gesang noch zu hören vermochte.
Eine lange Zeit schien vergangen zu sein, als seine Augen aufgingen und ihm bewegtes Wasser zeigten und darin nur undeutlich sichtbare riesige Gestalten, die auf ihn zuglitten. Der Tod nahm sich anscheinend Zeit, und während er starb, schien er zu träumen. Die erste Gestalt hatte
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