Elric von Melnibone
Anschwellen der Lust in sich. Yyrkoon würde ihm seine Treue lohnen, daran gab es keinen Zweifel. Trotz des kalten Windes begann der Hauptmann in seiner Vorfreude zu schwitzen. Er würde Prinzessin Cymoril persönlich bewachen. Er würde seinen Spaß daran haben.
An der Spitze seiner Armee marschierend, schritt Yyrkoon auf den Turm von D'arputna zu, den Turm der Herrscher, in dem sich der Rubinthron erhob. Er übersah die Sänfte, die man ihm gebracht hatte; er ging lieber zu Fuß, damit er jede Sekunde des Triumphes auskosten konnte. Er näherte sich dem Turm, der die anderen Türme mitten in Imrryr weit überragte, so wie er sich einer Geliebten genähert hätte. Er schritt darauf zu mit einem gewissen Zartgefühl und ohne Hast, wußte er doch, daß der Turm nun ihm gehörte.
Er sah sich um. Seine Armee marschierte hinter ihm. Magum Colim und Dyvim Tvar führten sie an. Menschen säumten die gewundenen Straßen und verneigten sich tief vor ihm. Sklaven warfen sich zu Boden. Selbst die Lasttiere mußten niederknien, wenn er vorbeischritt. Yyrkoon kam die Macht beinahe wie eine saftige Frucht vor, die er auf der Zunge schmecken konnte. Tief atmete er ein. Selbst die Luft gehörte ihm. Ganz Imrryr gehörte ihm. Ganz Melnibone. Bald würde ihm die Welt gehören. Und er würde alles verprassen. Und wie! Oh, welch gewaltige Schrecken würde er auf die Erde zurückholen, welch Übermaß der Angst! In Ekstase, beinahe blind betrat Herrscher Yyrkoon den Turm. Vor dem großen Tor zum Thronsaal zögerte er. Er gab Zeichen, daß die Türflügel geöffnet werden sollten, und als sie zur Seite schwangen, nahm er das Panorama bewußt nur stückweise in sich auf. Die Wände, die Banner, die Trophäen, die Galerien - alles sein Eigentum.
Der Thronsaal war in diesem Augenblick leer, doch bald würde er sich mit Farbe und Festivitäten und echten melniboneischen Vergnügungen füllen. Viel zu lange schon hatte kein Blut die Luft dieses Saals versüßt. Jetzt ließ er seinen Blick auf den Stufen verweilen, die zum eigentlichen Rubinthron hinaufführten, doch ehe er den Thron selbst gewahrte, hörte er Dyvim Tvar hinter sich die Luft anhalten. Da fiel sein Blick auf den Sitz des Rubinthrons, und das Kinn sackte ihm herab. Seine Augen weiteten sich ungläubig vor dem Bild.
»Eine Illusion!«
»Eine Erscheinung«, sagte Dyvim Tvar nicht ohne Befriedigung.
»Ketzerei!« rief Herrscher Yyrkoon taumelnd und deutete mit ausgestrecktem Finger auf die mit Robe und Kapuze verhüllte Gestalt, die reglos auf dem Rubinthron saß. »Der Thron ist mein, mein!«
Die Gestalt antwortete nicht.
»Mein! Verschwinde! Der Thron gehört Yyrkoon.
Yyrkoon ist jetzt Herrscher von Melnibone! Was bist du? Warum tust du mir das an?« Die Kapuze glitt zurück, und ein knochenweißes Gesicht wurde enthüllt, gerahmt von lose herabfallendem, weißem Haar. Rote Augen blickten kühl auf das kreischende, taumelnde Wesen, das sich ihm näherte.
»Du bist tot, Elric! Ich weiß, daß du tot bist!«
Die Erscheinung antwortete nicht, doch ein dünnes Lächeln stahl sich auf die weißen Lippen.
»Du kannst nicht überlebt haben. Du bist ertrunken. Du kannst nicht zurückkehren. Pyaray besitzt deine Seele!«
»Im Meer herrschen auch andere Wesen«, sagte die Gestalt auf dem Rubinthron. »Warum hast du mich getötet, Cousin?«
Yyrkoon hatte die Beherrschung verloren, Entsetzen und Verwirrung waren an ihre Stelle getreten. »Weil es mein Recht ist zu herrschen! Weil du nicht stark genug warst, nicht grausam genug, nicht humorvoll genug.«
»Ist dies kein guter Witz, Cousin!«
»Fort mit dir! Fort mit dir! Fort mit dir! Ich lasse mich nicht durch ein Gespenst vertreiben! Ein toter Herrscher kann Melnibone nicht regieren!«
»Das werden wir sehen«, sagte Elric und gab Dyvim Tvar und seinen Soldaten ein Zeichen.
3
EINE TRADITIONELLE GERECHTIGKEIT
»Jetzt werde ich in der Tat so herrschen, wie du es dir gewünscht hast, Cousin.« Elric sah zu, wie Dyvim Tvars Soldaten den gescheiterten Usurpator umringten, seine Arme packten und ihm die Waffen abnahmen.
Yyrkoon atmete keuchend wie ein in die Enge getriebener Wolf. Er sah sich um, als hoffe er bei den versammelten Kriegern Unterstützung zu finden, doch sie erwiderten sein Starren gleichgültig oder mit offener Verachtung.
»Und du, Prinz Yyrkoon, sollst der erste sein, dem meine neue Herrschaft zugutekommt. Freust du dich darüber?«
Yyrkoon senkte den Kopf. Er hatte zu zittern begonnen. Elric lachte.
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