Elsa ungeheuer (German Edition)
zurückwichen, verstanden drei Ponys, dass man ihnen nach dem Leben trachtete.
Das Gewehr war gespannt, der Lauf auf die Tiere gerichtet, die ebenso vehement wie vergeblich an ihren ledernen Stricken zerrten. Randolph zitterte. »Haltet still«, sagte er, aber weder seine Hände noch die Ponys gehorchten.
Wollte ich meinen Vater erlösen? Wollte ich einfach, dass es aufhörte? Oder wollte ich ein Held sein? Ich weiß es nicht.
Ich ließ die Taschenlampe fallen – geräuschlos glitt sie zu Boden –, und trat zu Randolph. Er erhob keinen Einspruch. Es war mehr ein Geben als ein Nehmen. Und da stand ich, Karl Brauer, ein kleiner, fetter Junge, Herr über Leben und Tod. Das Gewehr war schwerer als gedacht, und nur das überraschende Gewicht ließ mich einen Moment zögern.
Es geschah nicht nacheinander, sondern zeitgleich. Er rannte zu den Ponys, stellte sich schützend vor sie. Die Lärche und Lorenz sahen aus wie Brüder, beide Hüter des Abgrunds. »Nein, Karl«, rief er. »Nein!« Der Schuss löste sich. Eine Kugel flog durch die Nacht, an allem Lebenden vorbei.
Sechs Geschöpfe traten den Heimweg an, und mindestens eines von ihnen hatte mitten im Bayerischen Wald das Ende der Welt erreicht.
Elsa, Lorenz und ich saßen vor der Haustür, während Randolph im Wohnzimmer zehn Zigarren einzeln in Geschenkpapier wickelte. Die Kratzlerin stand in der Küche. Sie tat so, als ob wir sie gezwungen hätten, aber der Kuchen war ganz allein ihre Idee gewesen.
Auf graue Krücken gestützt, den linken Fuß eingegipst, stieg er aus dem Taxi.
Elsa schlang ihre Arme um das Murmeltier, Lorenz holte seine Tasche aus dem Kofferraum, und ich drückte dem Fahrer das Geld, das mir mein Vater gegeben hatte, in die Hand.
»Ihr herrlichen Kinder, ich bin wieder da!«, rief er und ließ sich von uns ins Wohnzimmer führen.
Er packte die Zigarren aus, auch noch die letzte entlockte ihm einen überraschten Freudenschrei. Gleichzeitig aß er den Bienenstich und rauchte, was die Kratzlerin mit empörtem Kopfschütteln quittierte.
»Meine Lieben«, sagte das Murmeltier, »nie wieder werde ich ein Krankenhaus betreten. Die erste Woche war unangenehm, aber die letzte war die Hölle. Dieser schmierige Arzt hat versucht, mir Zähne zu verkaufen. Was für eine Krämerseele!
›Doktor, wofür brauche ich gottverdammte Zähne?‹, habe ich gefragt.
›Ihnen fehlen drei. Aus ästhetischen Gründen sollten Sie darüber nachdenken, auch wenn Sie nicht mehr der Jüngste sind.‹
›Mit Verlaub, werter Herr, jeder anständige Mensch verliert beizeiten ein paar Zähne. An unseren Lücken erkennen wir einander.‹
Als er endlich aufgab mit den Zähnen, hat er sich auf mein Herz gestürzt. Ich bin als gesunder Mann in diese verfluchte Klinik eingeliefert worden, und jetzt habe ich angeblich ein krankes Herz. Es schlägt nicht richtig. Was für ein Unfug! Jedes Herz tanzt nach seinem eigenen Rhythmus. Und meines hat sich für eine Habanera entschieden. Die Betonung auf dem ersten Vierteltakt irritiert engstirnige Gemüter. Und dieser Arzt, meine Lieben, war an Borniertheit kaum zu übertreffen. Er wollte mich dabehalten, aber ich habe mich selbst entlassen, auf eigene Verantwortung.« Das Murmeltier zog an seiner Zigarre und lächelte.
»Selbst entlassen? Herzjesulein im Himmel«, krächzte die Kratzlerin und ließ die Gabel fallen. »Das geht doch nicht, Herr Murmelstein. So ein Leichtsinn.«
»Sorgen Sie sich etwa um mich?«, fragte er amüsiert.
»Ich denke nur an die Kinder«, schnappte sie zurück.
»Vielleicht lässt du dich einmal von Grievenhast untersuchen«, wandte mein Vater ein.
»Eine sehr gute Idee, Randolph. Grievenhast wird eine Habanera erkennen.«
Noch am selben Abend kam unser Dorfarzt. Nachdem er das Murmeltier abgehorcht hatte, meinte er, dass er nicht wirklich etwas dazu sagen könne, er sei schließlich kein Herzspezialist. Außerdem – und das im Vertrauen – höre er auf dem rechten Ohr nicht mehr allzu gut. Er empfahl dem Murmeltier, weniger zu rauchen, und viel frische Luft, das würde jedenfalls nicht schaden. Die Theorie mit der Habanera gefiel Grievenhast. »Meines tanzt seit Jahren einen langsamen Walzer. Es ist zum Kotzen.« Er zwinkerte dem Murmeltier zu, und damit war die Sache erledigt. Nur Frau Kratzler versuchte noch lange – unter Anrufung des Gottessohnes – das Murmeltier zu einer weiteren Kontrolle im Krankenhaus zu bewegen. Aber er weigerte sich strikt, sogar den Gips entfernte er eigenhändig
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