Elsa ungeheuer (German Edition)
Fragen.
Wenn er nicht hinsah, rollten Lorenz und ich die Augen.
Randolph war wahrlich kein adäquater Ersatz für Elsa.
Der nächste Sommer war meilenweit entfernt, doch die Tage bis zu den Herbstferien konnte man bereits zählen.
Elsas Stimme hallte über den Flur. »Murmeltier, wo sind meine Sachen?« Eine Tür knallte, und dann erfüllte ihr Lachen das gesamte obere Stockwerk. Einen Moment später platzte Elsa ganz in pinke Spitze gehüllt in unser Zimmer.
Es war der erste Ferientag, und wir warteten auf die Ankunft von Schweine-Willi.
Schweine-Willi kam, um die Schweine zu töten. Er war der Sohn von Schweine-Tilman. Die beiden galten als die besten Hausschlachter der Umgebung. Vor fünf Jahren hatte Tilman aus Versehen die Hälfte seines rechten Arms abgesägt. Ein Missgeschick bei der Gartenarbeit. Seither fuhr Willi jeden Herbst alleine durch den Landkreis, um die Tiere zu schlachten.
In unserem Dorf gab es nicht viel für ihn zu tun. Nur die Gerstelmeyers und die Jondrals besaßen Schweine.
Zum Ärgernis der beiden Familien nächtigte Willi nicht bei ihnen, sondern bei uns, obwohl auch sie Fremdenzimmer vermieteten.
Als wir das Motorendröhnen des weißen Mercedes hörten, rannten wir nach draußen.
Schweine-Willi war jung. Sein Körper bestand ausschließlich aus Muskeln. Ihre Härte bildete einen hübschen Kontrast zu seinem engelsgleichen Gesicht. Getrocknete Blutflecken auf seinen weißen Feinrippunterhemden verliehen ihm etwas Verwegenes.
Wir Kinder verehrten Schweine-Willi wie einen Rockstar und buhlten um seine Zuneigung. Unsere Huldigungen nahm er mit einem gleichmütigen Lächeln entgegen. Nur Lorenz, der ihn aus irgendwelchen Gründen an sein kindliches Selbst erinnerte, bedachte er mit besonderer Aufmerksamkeit. Das wiederum steigerte das Ansehen meines Bruders ins Unermessliche. Die Nesshauers zitterten vor Neid, wenn Schweine-Willi Lorenz auf die Schulter klopfte und sagte: »Ich war genau wie du! Du hast deinen eigenen Kopf. Dir kommt keiner blöd.«
Mit einer gottgegebenen Lässigkeit stieg Willi aus dem Auto und beugte sich über die geöffnete Fahrertür.
»Lorenz, Karl und ein Flamingo.« Er lachte laut los und zeigte mit dem Finger auf das pink gekleidete Mädchen. »Ein Flamingo.«
»Das ist Elsa«, sagte ich. »Elsa Gröhler.«
Abrupt erstarb sein Gelächter. »Elsa Gröhler? Die Tochter von Mathilde?«
Wir drei nickten.
»Verdammt… Elsa Gröhler, ich hab dich das letzte Mal gesehen, als du ein Baby warst und ich… ich war vierzehn.«
Da war er wieder, dieser Blick: aufkeimende Erinnerung, die Suche nach Mathilde.
Am Abend marschierten wir alle gemeinsam zum Jagdhof. Es war der einzige Tag im Jahr, an dem die Kratzlerin mit ihren Prinzipien haderte und nur knapp der Versuchung widerstand, uns zu begleiten. Auch die Erwachsenen freuten sich auf Schweine-Willi, schließlich brachte er den Tratsch aus den umliegenden Dörfern mit.
Gustav und Hubertus Gröhler konnten ihr Entsetzen über Elsas Flamingo-Gefieder kaum verbergen, aber es waren Ferien und nicht sie, sondern wir führten Elsa zum Essen aus. Lorenz durfte neben Schweine-Willi sitzen, der sein Publikum – den gesamten Jagdhof – mit Neuigkeiten versorgte: Ein Schützenkönig hatte seine Frau verprügelt. Ein Lokalpolitiker musste sich bald wegen Steuerhinterziehung vor Gericht verantworten. Eine Scheune war abgebrannt, und Joachim Ottner plante eine Großdemonstration in Wackersdorf.
»Als ob unser Franzl nicht wüsste, was er tut. Wenn das mit dem Atomzeug wirklich gefährlich wäre, dann würde unser Franzl das nicht zulassen«, sagte Frau Wiesinger und schüttelte den Kopf. Mit ›unser Franzl‹ war der bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß gemeint, den die Wirtin geradezu hündisch verehrte. »Demonstrieren? Das ist ja wie bei den Kommunisten. Ich meine…«
»Willi, was ist mit Texas?«, unterbrach Fred Nesshauer ihr Geschwätz.
Ein kinderloser Großonkel von Schweine-Willi besaß eine Rinderfarm in Throckmorton, Texas, und wollte Willi zum Teilhaber und späteren Erben der Ranch machen. Doch dieser brachte es nicht übers Herz, seinen einarmigen Vater, der sich partout weigerte, die Oberpfalz gegen Amerika einzutauschen, allein zurückzulassen.
»Hat Tilman seine Meinung geändert?«, fragte der Bäcker.
»Nein, noch nicht.«
»Mensch, Junge, dein Vater wird schon ohne dich zurechtkommen«, sagte ein anderer. »Eine Rinderfarm in Texas, da musst du zugreifen.«
Dann brachte die alte
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