Elsa ungeheuer (German Edition)
neuen Anstrich zu verpassen und unserer Haushälterin eine Haushälterin zur Seite zu stellen, war in der Nacht, als zwei Frauen ›Brauer‹ definiert hatten, gestorben.
Ich stach mit in See, gehörte zu Brauers Entourage. Wir hatten schwarze Plastikkarten mit unlimitiertem Verfügungsrahmen anstelle eines geregelten Einkommens.
Das Echo der nationalen und internationalen Presse war laut und begeistert:
›Brauer läutet das 21. Jahrhundert ein‹
›Das Verschwinden der Ewigkeit‹
›Ein Mann gegen die Zeit‹
›Zwölf Monate mit Brauer‹
Über jedem Artikel das Gesicht meines Bruders. Einem einzigen, von Irina Graham engagierten Fotografen war es erlaubt gewesen, während der Vernissage Aufnahmen zu machen.
Mit Bedacht hatten die beiden Frauen das Bild, das nun auf sämtlichen Zeitungen prangte, ausgewählt. Festgehalten war Lorenz in dem Moment, als sein Blick zwischen Boden und Menschenmenge schwebte. Ein Hauch von Schüchternheit und der Anflug von Trotz. ›Sagt über mich, was ihr wollt: alles ist wahr, alles ist gelogen‹, schien er zu raunen.
Lorenz bezog sein Atelier. Lange durfte niemand, nicht einmal ich, es betreten.
Vier Kameras wurden installiert. An den Seitenwänden angebracht, erfassten sie den Maler bei der Arbeit, aber nicht die Leinwand selbst. Einmal im Monat liefen die Apparate 24 Stunden nonstop. Das Videomaterial war ein Präsent an den jeweiligen Lizenzbesitzer im Falle von Brauers Überleben.
Bevor die Frage aufkommen konnte, ob der Künstler sein Handwerk überhaupt beherrsche, schließlich habe man nie auch nur einen Pinselstrich gesehen, präsentierten die beiden Frauen der Öffentlichkeit eine Zeichnung Brauers, die er eigens für diesen Zweck angefertigt hatte: zwei am Ufer stehende Kinder, die einem sinkenden Schiff nachwinken.
Geradezu euphorisch klangen die Besprechungen.
Irina Graham gründete die Graham-Stiftung, die alle fünf Jahre das mit 60 000 Mark dotierte ›Aevum-Stipendium‹ an bildende Künstler vergab. Der erste Stipendiat war natürlich Brauer.
Ende Mai fand die offizielle Verleihung in Rom statt.
Vor dem Tempel der Minerva in der Villa Borghese, der schönsten Parkanlage der ewigen Stadt, überreichten Mrs. Graham und Frau Mirberg dem Künstler die Auszeichnung. Fünfzig geladene Gäste und eine Schar Journalisten klatschten Beifall.
Mein Bruder gab seine erste Pressekonferenz. Ich saß neben Lorenz, während die Journalisten ihn mit Fragen bombardierten.
»Damien Hirst legt Tierkörper in Formaldehyd ein und Sie greifen zu Pinsel und Farbe. Sind Sie ein altmodischer Künstler?«
»Ich bin ein Maler, und mit den einfachsten Mitteln kann der Maler sich am besten ausdrücken.«
»Was ist Zeitgeist, Brauer?«
»Ich kann Ihnen nicht einmal sagen, was Zeit ist. Wenn ich eine Sache an sich nicht verstehe, wie soll ich dann ihren Geist begreifen?«
»Und was ist die Ewigkeit?«
»Alles zusammen, das ist die Ewigkeit.«
Während Lorenz sprach, fragte ich mich, welche Worte zu meinem Bruder und welche zur Graham-Mirberg-Show gehörten. Ein Hund oder ein Wolf?
Vera war bestens organisiert, Fabio hieß der italienische Dealer. In dieser Nacht zog ich allein durch Rom und landete wie jeder Tourist am Trevi-Brunnen. Aus Mangel an Kleingeld warf ich eine meiner schwarzen Plastikkarten in das Wasser. Sie sank nicht, wirkte hässlich und wertlos im Vergleich zu den glitzernden Münzen am Grund.
Eine Frau fesselte meinen Blick. Scharlachrot ihre Nägel. Der Lack ein wenig abgeblättert. Ich lächelte ihr zu, setzte mich neben sie. Lorena aus Catania. Wir sprachen in gebrochenem Englisch miteinander. Sie war Sängerin, viel mehr verstand ich nicht. Ich nahm sie mit in mein Hotelzimmer. Lorena sang, als ich auf ihr lag, ich hielt ihr den Mund zu. Sie sah traurig aus. Die Medizin verhinderte bei mir den Höhepunkt, ich gab auf, rollte mich ab von der sizilianischen Frau – fast noch ein Mädchen. Ihre Hand streichelte mein Gesicht. Es ekelte mich vor ihren unordentlich lackierten Fingern. Ich befahl ihr zu gehen. Sie sah traurig aus, als ich die Tür schloss.
Nach Rom schenkte Mrs. Graham ihrem Lieblingsmaler einen silbernen Porsche 904, Baujahr 1963, ein Nachfahre des Spyder 550 – des Autos, in dem James Dean starb. Das Juli-Cover des Artfact Magazine zeigte meinen Bruder in seinem neuen Sportwagen.
Ein Redakteur der Zeitschrift kramte Mirbergs Essay über Matthew Barney hervor und setzte das Gerücht in die Welt, Mrs. Graham habe
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