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Elsa ungeheuer (German Edition)

Elsa ungeheuer (German Edition)

Titel: Elsa ungeheuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Rosenfeld
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patentiert wurde. Man kann sich die Substanz als eine durchsichtige, flüssige Leinwand vorstellen. Lorenz’ fehlendes Puzzlestück, um die Ewigkeit nach seiner Vorstellung zu erschaffen.
    Im Frühling fand die angekündigte Ausstellung statt. Alles, was in der Kunstszene Rang und Namen hatte, war Irinas Einladung gefolgt.
    Wie anders sah doch das Fabrikgebäude in der Nähe von Köln an diesem Apriltag aus. Keine Frösche. Keine Könige. Mrs.   Graham hatte das Objekt in der Spielmannstraße 5 kurzerhand gekauft, nach der Ausstellung sollte es Lorenz als Atelier dienen.
    Rechts und links hingen an den weißgetünchten Wänden Bilder von Pechstein, Dix, Klee, Man Ray, Rosenquist. Ein Querschnitt durch die Grahamsche Sammlung. An der Stirnseite, als offensichtlicher Mittelpunkt, eine weiße Leinwand, 363   cm x 473   cm. Gekrönt von einem massiven Messingschild:
    Brauer, Die Ewigkeit , 1998   –   2041.
    Davor stand ein zierliches Rednerpult. Irina trat nach vorn.
    » Die Ewigkeit . 43   Jahre, 86   Motive, 363   Zentimeter hoch, 473   Zentimeter breit. Ein Rennen gegen die Zeit…«
    In wenigen Sätzen erklärte sie das Vorhaben des jungen Malers.
    »Selbstverständlich hoffen wir auf die Vollendung. Doch können wir erbärmlichen Kreaturen in die Zukunft blicken? Nein. Also wagen wir ein Experiment.«
    Irina erläuterte das Prinzip der Lizenzen. Die erste sollte im Mai nächsten Jahres verkauft werden. Es war totenstill in der Halle.
    »Wer bereit ist, sein ganzes Leben in eine einzige«, sie deutete mit der Hand hinter sich, »in diese Leinwand zu stecken, verdient unsere Hochachtung. Natürlich kann man sich fragen: Was habe ich davon, ein Bild zu kaufen, das ich weder aufhängen noch ansehen kann? Eine zwölfmonatige Option. Eine Wette auf Leben und Tod. Was haben Sie davon? Ihr Name wird mit einem der vielleicht größten Werke des 21.   Jahrhunderts auf immer verbunden sein. Sie nehmen teil. Werden Teil!« Irinas ausgestreckter Arm wies von der Ewigkeit zu den Bildern an der Wand. »All diese Künstler haben mich begeistert, doch keiner in dem Maße wie Brauer.« Sie lächelte. »Aber nun ist es Zeit, Ihnen den Mann vorzustellen, der meine Liebe zur Kunst neu entfacht hat: Brauer.«
    Applaus begleitete meinen Bruder nach vorn. Schön sah er aus vor der leuchtenden, zukünftigen Ewigkeit . Von der Sonne geküsst und betrunken. Ein Glas Rotwein in der Hand. Die Jackettärmel ein wenig zu kurz, die schwarze Krawatte nicht geknotet, Turnschuhe anstatt Lederslipper.
    Auf dem weißen Hemd ein Tropfen Bordeaux, gleich einer Schusswunde, das Sinnbild seiner Sterblichkeit. Die beiden Frauen wussten, was sie taten. Er stand einfach nur da, blickte abwechselnd schüchtern zu Boden und dann wieder trotzig in die Menge.
    »Möchtest du etwas sagen?«, fragte Irina ihn.
    Er überlegte einen Moment, dann schüttelte er den Kopf und lachte. Es klang verrückt.
    »Habt ihr das einstudiert«, flüsterte ich Vera ins Ohr.
    Sie lächelte. »Gehen wir hoch.«
    Ich folgte ihr in das Zimmer, in dem sie zur Kaulquappen-Mörderin geworden war. Dort stand jetzt ein Sofa.
    Ich hatte meinen eigenen Stein, der in einer Perlmuttdose ruhte. Ein kleiner Brocken, aus dem Bröckchen, aus denen Pulver wurde.
    Vera und ich teilten nicht nur das Bett und die Badewanne, sondern auch Jerome und Patrice. Den Dealer aus Düsseldorf und den aus Den Haag.
    Vera und ich – es war keine Liebe, nicht einmal ein Verliebtsein, es war ein bisschen mehr als nichts. Es tat nicht weh.
    »Ihr solltet in den Krieg ziehen, du und die Graham. Ihr könntet Regierungen stürzen, Revolutionen anführen, mein Gott, ist das krank.«
    »Beeindruckt?«, fragte sie.
    »Geschockt. Und das alles wegen eines Mannes und Andromeda.«
    »Habe ich nicht gesagt, dass es funktionieren wird?«
    »Ja, aber kann man das 43   Jahre lang durchziehen?«
    »Hör auf, so viel nachzudenken.«
    Wir schnupften das weiße Pulver, ein Akt, zärtlicher als unsere Küsse.
    »Du darfst auch mit anderen Frauen schlafen«, sagte sie.
    »Ich weiß.«
    »Die Scheidung ist übrigens durch.«
    »Gratuliere.«
    Und dann wirkte die Medizin. Ich war stark, die Welt ein verheißungsvoller Ort, und Vera Mirberg lag auf mir.
    Erst im Morgengrauen – ich war allein in meinem Hotelzimmer und fühlte mich tot, obwohl das Herz raste – kroch die Angst in mein Bett.
    Mein Plan, BWL zu studieren, einen einigermaßen gut bezahlten Job zu finden, mit dem ersten Gehalt dem Haus meiner Kindheit einen

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