Elsa ungeheuer (German Edition)
ihren Berater entlassen, weil er Brauers Genie verkannt hatte.
Ich bat Irina um zwei Wochen Urlaub und die Erlaubnis, ein wenig Geld in das Brauersche Fast-Hotel zu investieren. Beiden Wünschen wurde stattgegeben.
Weder die Kratzlerin noch Randolph beeindruckte der Ruhm meines Bruders. Unser Vater freute sich, dass es seinen Söhnen gutging.
»Geht es dir gut, mein Junge?«
»Ja, es geht mir gut, Papa!«
Und Frau Kratzler erklärte, dass sie nichts von Kunst verstehe und Kunst sowieso nur etwas für Leute sei, die ansonsten keine Probleme hätten.
»Herzjesulein im Himmel, was soll denn hier renoviert werden?«, stieß sie aus, als ich auf den eigentlichen Grund meines Besuchs zu sprechen kam.
»Alles.«
»Nein«, sagte Randolph schlicht.
Zu guter Letzt handelten wir einen Kompromiss aus. Sie erlaubten mir, die Gästezimmer und den Frühstücksraum streichen zu lassen. Von einer neuen Küche und neuen Sanitäranlagen wollten die beiden allerdings nichts wissen.
Die zusätzliche Haushaltskraft setzte ich unter der Bedingung durch, dass Frau Kratzler sie aussuchen durfte. Sie entschied sich für Ewa, eine Polin, die nicht viel jünger war als sie selbst, aber wahrscheinlich der einzige Mensch auf Erden, der das arme Herzjesulein noch glühender verehrte.
Es war August und kein Fremdenzimmer vermietet.
Am Abend ging ich allein in den Jagdhof, auch hier hatte man von Brauer gehört. Die alte Wiesinger behauptete, sie hätte schon immer geahnt, dass aus meinem Bruder etwas Besonderes werden würde. Ich nickte und trank mein Bier, während sie redete wie ein Wasserfall.
»Haben Sie jemals etwas von Mathilde gehört?«, fragte ich die Wirtin, als sie Atem holte.
»Nein, aber von Viktor.« Frau Wiesinger beugte sich zu mir und flüsterte in mein Ohr: »Es ist schlimmer als bei den Kommunisten. Mathilde ist mit einem Neger abgehauen, und jetzt bringt sie irgendwo in Afrika Negerkindern das Walzertanzen bei.«
»Walzertanzen?«
»Ja. Die Schwarzen können ja nur schnell zappeln, anständig bewegen können die sich ja nicht. Mathilde hat halt ein zu großes Herz. Das war schon immer so. Als Kind…«
»Und wissen Sie, wie es Elsa geht?«, unterbrach ich die Wirtin.
»Elsa? Nein«, sagte sie gleichgültig.
Ein Nesshauer-Kind – kein Kind mehr, aber immer noch rothaarig, feige und gemein – lud mich zu einer Partie Billard ein. Wir hatten uns nichts zu sagen. Schweigend gewann er das Spiel und freute sich über seinen Sieg. Ich hockte mich wieder an den Tisch, bestellte noch ein Bier. Die Tür ging auf: Gustav Gröhler.
Seit Elsas Abreise war es mir gelungen, den Gröhlers aus dem Weg zu gehen. Ich hatte damals sogar Gustavs Stundenplan auswendig gelernt, um einen Zusammenstoß im Schulgebäude zu vermeiden. Den sonntäglichen Kirchgang hatte ich mit einer solchen Vehemenz verweigert, dass selbst die Kratzlerin ihre Versuche, mich in das Haus Gottes zu schleifen, bald aufgab.
Sobald ich einen der Brüder auch nur von weitem erblickt hatte, war ich in die entgegengesetzte Richtung gerannt.
Und jetzt steuerte Gustav Gröhler direkt auf mich zu. Er nahm neben mir Platz und orderte ein Bier. Lautlos. Er hob nur seine Finger, mit denen er einst die Königin des Murmeltiers beschmutzt hatte.
»Karl, wie geht es dir?«, sagte er und lächelte herzlich.
»Gut, und selbst?« Auch ich lächelte.
»Bestens, alles bestens. Man hört ja so einiges über deinen Bruder.«
Wir unterhielten uns. Zwanglos, belanglos. Warum stürzte ich mich nicht auf ihn, warum brüllte ich ihn nicht an, war-um holte ich nicht das rostige Messer aus der Scheune?
Ich war wieder ein kleiner, fetter Junge…
»Ich trainiere im Moment für den Allgäu-Triathlon.«
»Entschuldigung, was?«
»Triathlon. Laufen. Schwimmen. Radfahren.«
»Aha«, sagte ich. Und dann konnte ich nicht mehr und stürzte zur Tür. Ich lief zum See, zu unserer Lichtung und legte mich auf den warmen Waldboden.
Einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, nach Throckmorton zu fliegen. Elsa zu retten, falls sie gerettet werden musste. Elsa mitzunehmen, sie nie wieder gehen zu lassen.
Der Handspiegel und das Döschen in der linken Hosentasche drückten gegen mein Bein.
Ich war stark und die Welt ein verheißungsvoller Ort. Throckmorton klang genauso realistisch wie Oz. Ich sah Elsa mit einem Hund, der vielleicht ein Wolf war, und dem Murmeltier durch die Prärie wandern, gegen sprechende Rinder kämpfen und Mimosen pflücken. Es war, als hätte es dieses Mädchen
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