Elsa ungeheuer (German Edition)
Vera klatschte in die Hände. »Ein Wettlauf gegen die Zeit. Vergänglichkeit gegen Ewigkeit. Niemand weiß, ob Brauer 43 Jahre leben wird… Jedes Jahr verkaufen wir eine… eine Art Option oder Lizenz. Ein Jahr lang gehört das Bild dem jeweiligen Käufer – sollte Brauer während dieser zwölf Monate etwas zustoßen, geht das Werk an ihn. Je älter Brauer wird, desto wertvoller die Lizenz.«
Irinas Augen glänzten. »Aber er ist noch sehr jung. Wie alt bist du, Brauer?«
»22.«
»Plus 43. Gibt 65. Nicht unwahrscheinlich, dass jemand 65 wird.«
»Dann lassen wir ihn halt ein wildes Leben führen.«
Der weiße Teppich war angsteinflößend makellos, als ob kein Tag vergangen wäre, seit Fetti hier genächtigt hatte. Lorenz lag neben mir. Seine Hand, die vor wenigen Minuten einen Pakt mit zwei Frauen geschlossen hatte, hielt die meine.
»Erinnerst du dich noch an die Erkenntnis des Murmeltiers«, fragte er.
»Klar.«
»Die Stürme des Lebens… Ich kann den Wind in meinen Haaren spüren.«
»Und die Unschuld? Was ist mit der Unschuld?«
Er lachte.
»Verlier sie nicht, und geh du mir auch nicht verloren in den Stürmen«, sagte ich.
»Du kommst mit. Wir stechen zusammen in See.«
»Ich kann nicht, das Studium fängt bald an.«
»Karl, hör hin, hör genau hin.« Er imitierte das Rauschen von Wellen. »Klingt es nicht verlockend?«
»Doch… Aber ich bin ein schlechter Schwimmer, und wenn unser Schiff so aussieht wie das, das wir einmal gebaut haben… Dann gute Nacht.«
»O nein, es ist gigantisch – wie die Titanic.«
Wir mussten beide lachen.
»Lorenz, du weißt, warum Vera und Mrs. Graham das tun?«, unterbrach ich die Fröhlichkeit.
»Und? Ist das wichtig?«
»Keine Ahnung.«
Es war still. Ich löschte das Licht.
Bald darauf schlief Lorenz auf meinem Bett ein. Behutsam löste ich meine Hand aus seiner Umklammerung.
In der Hoffnung, dass manche Dinge sich niemals ändern, trat ich in Fettis unsichtbare Fußstapfen.
Und da lag sie im kalten Wasser, in rötliches Licht getaucht. Ich schleifte den steinernen Hocker neben die Wanne. Kein Schaum bedeckte ihren Körper.
»Vera, was ist, wenn das alles nicht funktioniert? Was passiert dann mit Lorenz? Lasst ihr ihn fallen? Schickt ihr ihn einfach wieder nach Hause?«
Sie sah mich an, verwundert und amüsiert zugleich.
»Es wird funktionieren.«
»Und wenn nicht?«
»Vertrau mir. Vertrau Mrs. Graham.«
»Aber…«
»Karl, was soll das? Versuchst du ein guter Mensch zu sein?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Lass uns doch einfach ein bisschen Spaß haben. Weißt du, wie lange ich keinen Spaß mehr hatte?«
Sie stieg aus der Badewanne. Nackt und nass nahm sie eine silberne Schatulle von der Ablage und hockte sich im Schneidersitz auf die Fliesen. Sie sah aus wie ein Kind, das im Sand spielte.
Ein Spiegel, eine Plastikkarte, ein weißer Brocken, aus dem Bröckchen, aus denen Pulver wurde. Sie reichte mir ihre Medizin.
Drei mal rechts, drei mal links. Drei Mal zwei Mal drei. Ich war stark, die Welt ein verheißungsvoller Ort, und Vera Mirberg lag auf mir.
Mitte Januar trat Irina Graham mit einem Paukenschlag an die Öffentlichkeit. Sie bedachte das Museum of Modern Art mit einer großzügigen Schenkung. 25 der bedeutendsten Werke ihrer Sammlung fanden in New York ein neues Zuhause: ein Picasso, das Porträt eines Harlekins von 1905; ein toter Spatz, Öl auf Holz, von Franz Marc aus dem gleichen Jahr; zwei Radierungen von Paul Klee, um nur einige zu nennen.
Irina Graham hatte nicht wie andere Sammler verfügt, dass ihre Bilder permanent ausgestellt werden müssten. Ganz ohne Bedingungen hatte sie gegeben, was sie für Millionen hätte verkaufen können.
Das deutsche und das amerikanische Feuilleton sowie die wichtigsten Kunstmagazine baten die Sammlerin um Interviews.
Kunst soll gesehen werden, erklärte sie den Grund ihrer Spende, und kündigte für den Frühling eine große Ausstellung mit bisher noch nie gezeigten Werken aus ihrem Fundus an.
Sie habe sich lange Zeit zurückgezogen und ihre Sammlung einem Berater überlassen, aber ein junger Maler habe nun ihrer Liebe zur Kunst eine zweite Blüte beschert.
Wer der junge Maler sei, wollten die Journalisten wissen.
»Im April werde ich Brauer präsentieren.«
»Brauer?«
Während Irina die Neugier auf den bis dato unbekannten Brauer schürte, entwickelte der italienische Industrielackhersteller Albertoni in ihrem Auftrag einen rein synthetischen Stoff, der als Lino liquid
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