Elsas Küche: Roman (German Edition)
darunter büschelweise Narzissen und als Füllmaterial für die Stellen dazwischen oder als Grundierung Schleierkraut. Wie immer benutzten sie Unmengen von Schleierkraut, viele verschiedene Blumenarten und Gummilösung, die überall in offenen Dosen herumstand, sodass das städtische Krankenhaus wie jedes Jahr einer Tragödie vorbeugte – wie sie 1983 stattgefunden hatte, als ein an einem Blumenwagen mit dem Thema Fett arbeitender Asthmatiker gestorben war –, indem es einen Allergologen und ein paar Betten bereitstellte, für den Fall, dass jemand den überreichlich vorhandenen Wohlgerüchen erliegen sollte, die durch das Zelt zogen.
Die so raffiniert aussehenden Blumenwagen waren im Grunde einfach herzustellen. Erst wurde eine Zeichnung des Umzugswagens gemacht, dann installierte man auf einem Gefährt eine Plattform, auf der man die aus Maschendraht gefertigte jeweilige Figur oder das Gebäude befestigte. Es waren die Gerippe, auf denen später die Blumen angebracht wurden: Die Blüten wurden einzeln neben- und übereinandergelegt und durch das Drahtgeflecht gesteckt und dann entweder mit Bindfaden befestigt oder mit Gummilösung angeklebt, bis alle Drahtgebilde bedeckt waren.
Dass dafür tonnenweise Blumen gebraucht wurden – vor allem Nelken und Rosen –, muss nicht eigens erwähnt werden. Und weil Délibáb nicht gerade Ecuador oder Kenia war, wo im Hochland über Monate hinweg Schnittblumen gedeihen, mussten viele der benötigten Blumen per Eilzustellung geliefert werden, und es kamen reihenweise Diesellaster aus Budapest, die immer neuen Blumennachschub geladen hatten. Die Lieferung wurde von den besten Stadtplanern und logistischen Köpfen koordiniert, und ein paar Lastwagen kamen sogar aus dem fernen Wien. Umrechtzeitig anzukommen, zwangen sich die Lastwagenfahrer heroisch zu mörderischen Nachtfahrten. Doch es lohnte sich für sie: Sie wurden gut bezahlt und wussten, dass die Stadt für den Blumenkarneval berühmt war – nicht nur der erstaunlichen Blumengebilde wegen, sondern auch wegen ihrer langbeinigen Töchter, die als Tanzmariechen zwischen den Blumenwagen marschierten.
Sie fuhren zum Hintereingang des Zelts und luden die Blumen ab, hielten dabei aber immer nach den übenden Mädchen Ausschau. Die jungen Frauen übten ihre Pirouetten und Tanzschritte vergnügt auf einem Feld – genauer gesagt einer Wiese – an der Straße. Die Lastwagenfahrer sahen sehnsüchtig aus der Ferne zu, wie die jungen Frauen ihre Kommandostäbe in die Luft warfen, um die eigene Achse wirbelten und mit dem Hinterteil wackelten, bevor sie die Stäbe fallen ließen und hinter dem Rücken wieder auffingen. Mit militärischer Präzision kickten sie den Stab hoch und wirbelten ihn herum, und die Lastwagenfahrer schüttelten die Köpfe. Es war Sommer, und sie mochten Umzüge sehr – alles an ihnen: dass die jungen Frauen rosig und zufrieden waren, dass sie ihnen ein Lächeln zuwarfen, das selbst ein Herz aus Stein zum Schmelzen brachte – und nicht zuletzt gefiel ihnen der Klang der marschierenden Musikkapelle, die die Trommel schlug.
»Doras Vater hatte drei rothaarige Frauen dafür bezahlt, auf dem Blumenwagen mitzufahren, den er für das neue Restaurant seiner Tochter finanziert hatte. Das war der Festwagen für die Drei Rosen , von dem der Tellerwäscher Elsa erzählt hatte. Man hatte Drahtgestelle in Form von Windbeuteln, Kuchen und Zimtbrötchen gebaut, außerdem zwei Kinder, eines im Vordergrund und eines in der Mitte. Am hinteren Teil des Blumenwagens war ein Podiummit einem weißen Stuhl darauf. Wer dort Platz nahm, wirkte unwillkürlich wie ein Wagenlenker. Direkt hinter diesem Stuhl erhoben sich aus einer Schicht Schleierkraut die Drahtgestelle dreier Rosen – jedes zwei Meter lang. Die beiden seitlichen Rosen standen schräg und die in der Mitte kerzengerade hinter dem Stuhl, der wie ein Thron aussah.
Die Arbeiter nahmen weiße und gelbe Nelken für die Windbeutelsahne und zahlreiche cremefarbene Nelken für den gebackenen Teig, bis die Windbeutel Gestalt annahmen. Für die drei Rosen hinter dem Stuhl benutzten sie wilde Rosen und für die Zwischenräume bunte Nelken. Die Haare der Kinder gestalteten sie aus gelben Narzissenblüten. Zum Schluss brachten sie an der Seite des Festwagens ein Schild mit dem knallrot gepinselten Namen des Restaurants an. Doras Vater strahlte über das Ergebnis, als Dora und der Küchenchef zur Besichtigung kamen.
»Seht euch die Pyramiden an!«, sagte der Küchenchef. Der
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