Elsas Küche: Roman (German Edition)
sowieso immer früh auf. Dann hab ich was zu tun. Aber die Wände müssen wir sofort streichen. Wir können die Farben zusammen aussuchen. So kannst du das Lokal nicht lassen.«
»Prima«, sagte Elsa. »Vielen Dank.«
Als der Postinspektor gegangen war, erzählte er seinen Kollegen von den Veränderungen in der Tulpe . Und der Wachtmeister erzählte es seinen Kollegen auf dem Revier. Eva erzählte es allen beim Friseur, und so dauerte es nur wenige Tage, bis alle in Délibáb über die Veränderungen in ihrem Lieblingsrestaurant sprachen und über das sensationelle Frühstück, das dort serviert wurde. Neugierig kamen dieselben Leute wieder – dieselben fetten Walrosse mit ihren straußengroßen Frauen. Sie nahmen Platz und bestellten pikante Arme Ritter. Sie tranken Kaffee und lasen die Morgenzeitung. Sie blieben nicht so lange wie früher am Abend. Sie aßen ihr Frühstück und brachen nach einem Viertel der Zeit wieder auf. Die Gäste wechselten schneller, und Elsa bemerkte, dass ihre Servietten zu dieser Tageszeit viel zweckmäßiger benutzt wurden.
Eine andere Gruppe Ausländer bestellte Eier und Kaffee und unterhielt sich laut. Sie kamen aus der Herberge, in der auch die auf Trekkingtour befindlichen Skandinavier übernachtet hatten, die am ersten Tag ins Restaurant gekommen waren. Nach dem Frühstück waren sie in die Herberge zurückgegangen und hatten einen Zettel mit der Adresse der Tulpe und einer Empfehlung ans Schwarze Brett geheftet. Der Besitzer der Herberge hatte den Zettel gelesen und Elsa angerufen. Er erklärte, er suche Lokale, die seinen Gästen Rabatt geben. Elsa war damit einverstanden, und seitdem schickte er alle seine Gäste zum Frühstück und Mittagessen in ihr Restaurant.
Nach ein paar Tagen hatte sich Elsa an den Vormittagsrhythmus gewöhnt und herausgefunden, wie sie das Frühstückam besten vorbereitete. Sie sah beispielsweise, dass die Männer offenbar die deftigeren Speisen bevorzugten. Sie aßen meistens Würste und Eier, und für ihr Rührei brauchte sie jeden Tag ein paar Hundert Eier. Die Männer verschlangen es, verdrehten die Servietten wie wild und gingen dann. Die Frauen aßen anders. Sie tranken viel mehr Kaffee und bestellten mehr Hefezopf oder Toast und Marmelade. Elsa versuchte, die Frühstücksauswahl schlicht zu halten. Sie hatte nur ein ausgefallenes Gericht auf der Karte, das sie sich ausgedacht hatte: eine Mischung aus Polenta, gebratenen Zwiebeln und Speckscheiben. Sie sah, dass die experimentierfreudigeren Esser dieses Gericht bestellten.
Ihre gute Idee hatte sie dem Postinspektor zu verdanken, so viel musste sie sich eingestehen. Und seitdem hatte sie neue Energie. Sie wachte nicht mehr mit den Angstgefühlen auf, die sie in letzter Zeit geplagt hatten, sondern war hoffnungsvoller und hatte ein Ziel vor Augen. Sie stellte fest, dass sie früher wach wurde als zuvor, aufstand, wenn die Sonne aufging, und fertig angezogen draußen in der kühlen Morgenluft stand, wenn die erste Straßenbahn fuhr. Bevor sie zum Restaurant ging, machte sie einen Spaziergang zum Markt und kaufte Honig oder frischen Quark oder Eier und Schalotten. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit kamen ihre Ängste zur Ruhe.
XVI
E ine Woche vor Beginn des Blumenkarnevals – es waren die Hundstage, an denen das Thermometer auf fünfunddreißig Grad kletterte – wurde hinter dem Bahnhofsgelände von Délibáb ein Festzelt errichtet. Um es kühl zu halten, stellte man Eisblöcke und riesige Ventilatoren bereit. Es war ein großer Aufbau, den man vom Bahnsteig aus sehen konnte, so groß wie der Bahnhof. An der Zeltspitze wehten Bänder und Fähnchen, und das Innere bot mehreren Hundert Menschen Schatten – oder, wie momentan, Platz für zwölf Blumenfestwagen, die über und über mit frischen Blüten dekoriert waren. Um sie festzukleben, verwendete man Gummilösung.
Begeisterte Hobbygärtner und städtische Platzwarte vom botanischen Garten folgten gewissenhaft schematischen Skizzen, und auf jedem Blumenwagen war eine der unzähligen Skulpturen aus Maschendraht – von ländlichen Szenen springender Rehe bis zu den gewaltigen Pyramiden von Giseh; von lokalen Wahrzeichen wie der großen Kirche vor Elsas Wohnung bis zur arabischen Oase und zu Moby Dick. Das Thema jedes Umzugswagens wurde vom jeweiligen Sponsor festgelegt und Monate im Voraus gestaltet. Jetzt wurden die Blumen Blüte für Blüte sorgfältig arrangiert – hier schockfarbene Nelken, dort eine Rosenwand,darüber Hyazinthen,
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