Elurius (Vater der Engel) (German Edition)
nicht um, sondern verließ den Raum und zog die Tür mit einem kräftigen Ruck hinter sich ins Schloss.
Obwohl Tadeya ihre Beine kaum unter sich spürte, stürzte sie wutentbrannt hinter ihm her und schlug einmal kräftig mit beiden Fäusten gegen das Türblatt, dass es laut knallte. Aus dem Nebenraum antwortete ihr nur die Stille. Kein Geräusch. Keine Schritte. Wo blieb das Einrasten des Riegels auf der anderen Türseite?
Ihre Hände sanken herab auf die Türklinke, während sie das Ohr gegen das Holz des Türblattes presste. Kein Laut war zu vernehmen.
Stand er direkt hinter der Tür? Oder hatte er sich weiter in den angrenzenden Raum zurückgezogen?
Eines war ihr klar: Die Wahrscheinlichkeit, dass er das Vorlegen des Riegels einfach nur vergessen hatte, war äußerst gering. Dennoch war es ihr unmöglich, die wahrscheinlich unverriegelte Tür geschlossen zu lassen. Ihr Herz raste, als sie die Klinke nach unten drückte und das gleichzeitige Klacken des Schlosses vernahm.
Was würde sie auf der anderen Seite erwarten? Hatte er ihr Gefängnis unverschlossen gelassen, um sich eine weitere Möglichkeit zu eröffnen, sie zu demütigen?
Tadeya machte einen etwas schwankenden Schritt zurück von der Tür. Ihr war leicht schwindelig. Der gesamte Körper signalisierte ihr: Erschöpfung. Doch sie war nicht willens, diesen Signalen zu gehorchen.
Die Tür ließ sich tatsächlich problemlos öffnen. Und auf der anderen Seite tat sich ein weiterer Raum auf, der etwa dieselbe Größe besaß, wie ihr kleines Gefängnis und ebenfalls fensterlos war. Ins Auge fiel eine schmale Leiter, beinah in der Raummitte, die nach oben, zu einer geschlossenen Luke in der Decke führte.
Robert Adlam saß auf dem Boden, nur etwa drei Schritte von ihr entfernt, an die Wand zu ihrer Linken gelehnt. Er hob nicht einmal den Blick, als sie hereintrat, sondern hielt den Kopf gesenkt und schaute auf etwas, das er in den Händen hielt. Neben ihm stand eine ähnliche Öllampe, wie schon in dem anderen Raum. Daneben lagen zwei oder drei prall gefüllte Beutel mit Gepäck. Ansonsten war auch dieser Raum leer.
Sie trat direkt vor ihn und schaute auf ihn herab. Er hielt ein kleines Stück Papier in den Händen, die in etwas fleckigen, braunen Lederhandschuhen steckten. Tadeya konnte erkennen, dass es sich bei dem Papier um ein Bild handelte, das in klaren Grauabstufungen zwei Personen, einen Mann und eine Frau, zeigte. Details waren aus ihrer Position nicht auszumachen.
Ziemlich erstaunt stellte sie fest, dass sie in diesem Augenblick nicht nur die Kraft, sondern auch jeglicher Ansporn verlassen hatte, ihren Entführer ein weiteres Mal anzugreifen. Vielleicht gab es andere Wege, hier herauszukommen, wenn die ihr am meisten vertraute Taktik versagte.
"Was soll das Ganze?" fragte sie ihn.
Er hob noch immer nicht den Kopf, legte auch nicht das Bild beiseite.
"Setz dich zu mir, Tadeya", sagte er in einem Tonfall, der seine Worte eher nach einer Anordnung, als nach einer Einladung klingen ließ.
Ihr erschöpfter Körper verlangte danach, sich zu setzen und sich auszuruhen.
"Ich bin nicht dein Schoßhund", erwiderte sie stur. "Ich gehorche nicht deinem Kommando."
"Dann bleib stehen", meinte er, während er sich nach links beugte, aus einem der Beutel ein Buch hervorholte und das Bild aus seiner Hand sorgsam zwischen die Seiten legte.
Tadeya war überzeugt, dass er ihr bewusst seine Überlegenheit demonstrierte, indem er sie über sich stehen ließ und in keiner Weise auf sie acht gab. Sie hätte ihm ohne Weiteres einen kräftigen Fußtritt direkt ins Gesicht verpassen können.
"Ich will Antworten auf meine Fragen", verlangte sie.
Er steckte das Buch mitsamt dem Bild zurück in den Beutel. Dann lehnte er sich ein Stück zurück und schaute endlich zu ihr hoch.
"Sollte ich deinem Kommando gehorchen?" fragte er.
Sehr deutlich spürte sie etwas, das ihr schon vorher, in dem anderen Raum, aufgefallen war, aber jetzt viel stärker in ihr Bewusstsein drang: Etwas an ihm war anders, ganz anders als an anderen Menschen. Es war wie eine Finsternis, die über ihm lag und in deren Schatten man durch seinen Blick gezogen wurde. Und es war wie ein Energiestrom, verhalten, aber stetig, doch immer auf der Kippe einer Explosion. In seine Augen zu sehen war wie ein Stück vom Tod zu kosten. Und als sich ihre Blicke in diesem Moment ein weiteres Mal begegneten, war sie nicht geschützt durch die Mauer ihres Zorns und ihres Hasses. Sie war erschöpft und
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