Elwin - Goldrausch (German Edition)
auf und schaute zum Wall hinüber. Vom Schuppen sah er nur das Dach, die Steine des Walls versperrten ihm die Sicht auf die Tore. Er blickte sich um. Die Wachen hatten ihn nicht gesehen. Nur die Insekten summten, das Gras wog sanft im Wind. Er war allein.
Elwin betrachtete den Baum. Die unteren Äste waren kräftig. Bekäme er sie mit den Pfoten zu fassen, könnte er sich daran hochziehen. Er sprang, aber die Äste waren zu hoch. Er ging in die Hocke und sprang mit aller Kraft in die Höhe, riss gleichzeitig die Arme über den Kopf, bereit, den Ast zu packen. Der Sprung ging erneut ins Leere, die Äste waren zu hoch. Elwin gab nicht auf. Mit Pfoten und Beinen umklammerte er den Stamm und schob sich langsam in die Höhe. Schließlich bekam er doch den Ast zu fassen und zog sich hinauf. Der Baum schwankte leicht.
Bereits von hier konnte er den vorderen Teil des Schuppens einsehen. Rasch stieg er in die dichte Baumkrone, setzte sich und lehnte sich erleichtert gegen einen anderen Ast. Er hatte es geschafft. Die Starks, die seinen Freunden gefolgt waren, kehrten ebenso schnell zurück, wie nach ihrem ersten Ablenkungsmanöver, als sie Groohi gefangen genommen hatten.
Dennoch war Elwin enttäuscht, denn er sah weit weniger, als er erhofft hatte. Er konnte zwar die Tore und den Platz davor einsehen, aber den Schuppen hielten die Wachen gut verschlossen. Wurde er geöffnet, dann nur so weit, dass die Männer hindurchschlüpfen konnten. Auch ein paar Orlanden arbeiteten dort, trugen Geschirr hinein. Einmal hatten sie das Tor für einen Moment ganz geöffnet und sofort wieder verschlossen. Elwin wusste nicht, warum sie das taten. Er glaubte, einen Blick auf einen riesigen Käfig erhascht zu haben.
Und Groohi, wo steckte der nur? Es gab nicht den kleinsten Hinweis, was sie mit ihm gemacht hatten. War er noch am Leben? War er verletzt?
Die Leute verrichteten die üblichen Wachen und schienen sich nicht um ihren Gefangenen zu kümmern. Elwin belauschte sie, so gut er konnte, und meinte, die Worte »Händler« und »Adler« verstanden zu haben.
Eine Stunde verstrich, eine weitere. So langsam verlor Elwin jedes Zeitgefühl und döste schließlich sogar für eine Weile. Als ein lauter Ruf erklang, erwachte er schlagartig. Doch nichts geschah.
Die Sonne würde ja bald untergehen, und noch immer saß er tatenlos im Baum! Elwin blickte zu den beiden Amseln hoch über ihm, die unbekümmert ihr Nest bauten. Was sollte er jetzt tun? Erst im Schutz der Dunkelheit konnte er sich dem Schuppen nähern. Sina hatte ihn gewarnt. Jetzt saß er hier, wusste nicht viel mehr als zuvor und musste warten.
Die Ungewissheit über Groohis Schicksal belastete Elwin so sehr, dass er an nichts anderes denken konnte. Ständig sah er das Bild der Gefangennahme vor sich. Es war wohl wieder eine Stunde vergangen. Die Sonne hing wie eine gelbe Melone tief über dem Horizont, den sie jeden Augenblick berühren würde. Die ersten hohen Wolken schimmerten graurosa.
Da kam Bewegung in die Männer. Vor dem Eingangstor bezogen jetzt zu beiden Seiten je drei Wachleute Stellung. Mit dem Gesicht standen sie zum Wall, durch den ein schmaler Weg führte. Elwin versuchte, den weiteren Verlauf des Weges über die Felder zu erkunden, verlor ihn aber nach wenigen Kehren aus den Augen. Seine Freunde hatten keine Warnsignale gegeben. Er war beruhigt, wusste er doch, dass den Haromos nichts entging.
Elwin blickte zum wiederholten Male über den Weg. In der Ferne sah er aufgewirbelten Staub, der vor die untergehende Sonne stieg. Er hob seine Ohren und hörte Hufe schlagen. Die Reiter waren in großer Eile.
Die Starks kamen! Nicht zu Fuß, wie er dachte, sie ritten auf Ponys heran. Elwin stand auf und packte hastig mit der Pfote einen Ast, um nicht hinunterzufallen. Ihm stockte der Atem. Er saß in der Falle. Verließ er jetzt den Baum, würden sie ihn sofort sehen. Blieb er sitzen und die Starks würden hier, auf der Wiese, ihr Lager aufschlagen, wäre es auch um ihn geschehen. Also musste er fliehen, und zwar jetzt!
Ausbruch
Elwin war im Baum auf einen tieferen Ast geklettert und spähte zwischen den Blättern hindurch auf den Weg. Zwei Reiter kamen im Galopp heran und ritten geradewegs auf den Schuppen zu. Rasch passierten sie den Wall und stoppten ihre Ponys. Die Wachen standen stramm und grüßten. Die Reiter stiegen ab. Elwin spitzte die Ohren und hörte die Männer miteinander sprechen. Weitere Starks kamen nicht, die Gefahr war im Augenblick vorüber.
Elwin
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