Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Elysion: Roman (German Edition)

Elysion: Roman (German Edition)

Titel: Elysion: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
Vom Netzwerk:
sogar einen Mann bezahlt, dich zu finden, so eine Art Detektiv. Ich hab geglaubt, er würde mir helfen, aber heute denke ich, er hat sich nur mein Geld gekrallt und sich heimlich über mich kaputtgelacht. Irgendwann gab es nichts mehr, was ich noch tun konnte. Aber Gott weiß, ich hab’s versucht.«
    Während er gesprochen hatte, war seine Stimme dünn geworden. Er hatte sich auf ein Schaltpult gestützt, mit dem Rücken zu ihr.
    Sie stemmte sich von dem Stuhl hoch, ging auf ihn zu. Als er ihre Schritte hörte, drehte er sich um. Sie sah den verdutzten Ausdruck in seinem Gesicht, kurz bevor sie die Arme um ihn schlang. Etwas in ihr war enttäuscht darüber, dass ihr Kopf nun an seiner Schulter ruhte und nicht an seinem Bauch, so wie früher, und dass sich sein Körper so seltsam dünn anfühlte. Doch sie wollte dieser inneren Stimme keinen Raum geben.
    Die Zeit fror ein. Sie wollte nichts mehr denken, nur noch fühlen, die dunklen Erinnerungen vergessen, nur noch im Hier und Jetzt sein …
    »Äh … Cooper, Kleines«, hörte sie ihn. »Du erdrückst mich ja.«
    Sie löste sich von ihm und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. »’tschuldigung.«
    »Hast du etwa geweint, Kleines?«
    Stumm und fast trotzig schüttelte sie den Kopf.
    Dann herrschte Schweigen.
    Der Moment wuchs und dehnte sich bis ins Unerträgliche. Die Stille legte sich über sie wie eine zähe Flüssigkeit.
    Wie konnte das sein? Es musste doch genug zu sagen geben, dass es für Jahre reichte. Zumindest hatte sie das immer gedacht, wenn sie sich diesen Moment ausgemalt hatte, Tausende Male, abends im Bett vor dem Einschlafen oder beim Tagträumen.
    Ihr Blick fiel auf Azrael, der die ganze Zeit bewegungslos an der Labortür gestanden hatte. »Stimmt es, dass du sie gemacht hast?«
    Die Miene ihres Vaters schien für einen Moment zu versteinern. Er räusperte sich. Es war zu offensichtlich, dass ihm das Thema unangenehm war.
    »Ja«, sagte er schließlich, ohne sie anzusehen.
    »Weißt du, dass sie in den Städten Leute töten oder entführen?«
    Er ließ sich seinerseits auf einen Stuhl fallen, holte tief Atem und sah sie an. »Cooper, bitte«, sagte er fast beschwörend. »Das sind Dinge, von denen du nichts verstehst.«
    »Behandele mich nicht wie ein kleines Mädchen. Ich bin siebzehn, fast schon achtzehn.«
    Er seufzte. »Ja, du bist groß geworden und … Du kleidest dich wie ein Junge. Wo ist das süße kleine Mädchen geblieben, das früher immer auf meinem Schoß gesessen hat?«
    »Für süße kleine Mädchen ist dort draußen kein Platz«, sagte sie und erschrak selbst über den Zorn in ihrer Stimme. »Die Stadt ist ein gefährlicher Ort geworden«, fügte sie etwas sanfter hinzu.
    »Du hättest ins Elysion kommen sollen. Es gibt dort keine Gewalt, nichts, wovor jemand wie du sich fürchten müsste.«
    »Diese Steinzeitgesellschaft? Pah. Keine zehn Malachim bringen mich in so ein Konzentrationslager.«
    Als er ihren letzten Satz hörte, sprang ihr Vater auf. »Hätten wir damals in dieser Gesellschaft gelebt, die du als Steinzeit und Konzentrationslager bezeichnest«, donnerte er, »könnte deine Mutter heute noch am Leben sein.« Er funkelte sie böse an.
    Cooper war sprachlos. Sie konnte nicht einmal genau sagen, warum. War es, weil er die Untaten der Malachim relativierte oder weil er ihr für ein paar Sekunden wieder so erschien, wie sie ihn bisher in Erinnerung gehabt hatte? Groß und mächtig, mit einer Stimme, die sie jedes Mal zum Zittern gebracht hatte, wenn er sie wegen eines zerbrochenen Tellers oder eines zerrissenen Kleides ausgeschimpft hatte.
    Auf einmal änderte sich sein Gesichtsausdruck erneut, und er war wieder der müde, vor seiner Zeit gealterte Mann, der sie vorhin im Korridor erkannt hatte.
    »Aber das ist jetzt auch bald alles egal«, sagte er.
    »Wie meinst du das?«, fragte sie.
    »Nichts. Ich meinte nichts.« Er zögerte einen Moment lang, als würde er über irgendetwas nachdenken. »Ich will nicht mit dir streiten, Cooper«, fuhr er schließlich fort. »Es tut mir leid. Ich bin wirklich froh, dass du zu mir gekommen bist. Du musst mir meine Schroffheit verzeihen. Wahrscheinlich hat mich das ständige Einsiedlertum verrohen lassen. Du hattest bestimmt einen langen Weg hierher, und ich bin ein miserabler Gastgeber. Hast du Hunger? Kann ich dir etwa anbieten?«
    Es war, als hätte seine Frage ihre Körperfunktionen erweckt. Ihr Magen knurrte so laut, dass sie rot anlief.
    Ihr Vater lachte schallend.

Weitere Kostenlose Bücher