Elysion: Roman (German Edition)
»Das war wohl Antwort genug. Schande über mich. Komm mit, ich habe ein reichlich gefülltes Nahrungslager in einem anderen Stockwerk.«
Er winkte ihr, ihm zu folgen. Azrael gab die Tür frei, wollte dann aber offensichtlich mitkommen.
»Du bleibst hier«, herrschte ihr Vater ihn an.
Azrael blieb stehen und warf Cooper einen seiner sphinxhaften Blicke zu, in dem man alles und nichts lesen konnte.
»Azrael hat mich hierhergebracht«, sagte sie. »Ich möchte, dass er mitkommt.«
Sie hatte betont leise gesprochen, der Blick niedergeschlagen. Es gefiel ihr nicht, das kleine Mädchen zu spielen, aber auch sie war der Streiterei müde.
Für einen Moment sah sie, wie sich im Mienenspiel ihres Vaters dessen innerer Konflikt abbildete. »Na gut«, sagte er schließlich. »Dann nimm ihn eben mit.«
»Danke, Vater.«
»Früher hast du mich immer Paps genannt.«
»Danke, Paps«, sagte sie. Es klang wie eine Lüge.
Er lächelte und öffnete die Tür zum Gang.
»Paps«, sagte sie.
»Was denn noch, Cooper?« Er drehte sich zu ihr um.
»Da ist noch etwas, um das ich mich kümmern muss. Eine Freundin von mir. Sie war bei uns, aber dann ist sie verschwunden.«
»Verschwunden?« Er zog die Augenbrauen zusammen. »Wo?«
»Als du auf uns ge… Ich meine, bei der Schießerei. Stacy. Sie war hinter uns, aber dann war sie weg. Ich muss sie finden. Sie ist bestimmt genauso hungrig und durstig wie ich.«
Er kam auf sie zu und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Mach dir keine Sorgen, mein Kleines. Jeder Winkel hier wird von Videokameras bewacht. Wir werden sie bestimmt finden. Aber jetzt solltest du wirklich etwas essen.«
»Aber … sie könnte verletzt sein.«
»Pass auf, ich mach dir einen Vorschlag.« Er kniete vor ihr nieder und nahm ihre Hand, wie er es früher in solchen Momenten immer getan hatte. Nur dass er ihr damit damals auf Augenhöhe kam. »Während du etwas isst, gehe ich in die Sicherheitszentrale und suche nach deiner Freundin. Sobald ich sie gefunden habe, sage ich dir Bescheid, und wir werden sie holen. Der da«, er wies auf Azrael, »kann auf dich aufpassen, während ich weg bin.«
Aufpassen? Cooper lag eine trotzige Bemerkung auf der Zunge, aber sie schluckte sie hinunter. Stattdessen sagte sie: »Ja, Paps.«
»Das ist mein Mädchen.« Er stand auf und strich ihr über den Kopf.
Einige Minuten später saß Cooper vor einem kleinen Metalltisch, auf dem Kommissbrot, Wurstkonserven, Dosengemüse und Dörrobst lagen. Eine Weile lang konnte sie nichts anderes tun, als diesen fast obszönen Reichtum still zu bewundern. Kaum weniger obszön als das, was sie in Monicas Haus zu sehen bekommen hatte.
Aber dann kam ihr wieder Stacy in den Sinn. Wo war sie nur? Es fühlte sich falsch an, ohne sie an diesem Tisch zu sitzen.
Doch am Ende gewann ihr knurrender Magen die Oberhand. Sie brach sich ein Stück Brot ab, und mit der anderen Hand griff sie nach etwas, das wie eine echte Salami aussah. Dann stopfte sie es gierig in sich hinein.
Erst jetzt fiel ihr auf, dass Azrael sie beobachtete.
»Möchtest du auch?« Sie hielt ihm ein Stück Brot hin.
»Nein. Mein Organismus kennt keinen Stoffwechsel«, antwortete er.
»Oh. Okay.«
Es war ihr ein wenig peinlich, ihn erst gefragt zu haben, nachdem sie über Brot und Wurst hergefallen war. Doch ihr Hunger, der noch lange nicht gestillt war, drängte den Gedanken schnell wieder zurück.
Sie griff nach einem großen Tonkrug und schnupperte daran. »O mein Gott – das ist echter Rotwein«, rief sie aus. »Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal … Ich glaub, Big Mama hat mal irgendwo welchen aufgestöbert. Muss Jahre her sein.«
Sie bemerkte Azraels Blick, wie er sie unverwandt anstarrte, und kam sich geschwätzig und dumm vor.
»Ach, vergiss es«, murmelte sie.
Es gab auch Kaffee. Er befand sich in einer Warmhaltekanne. Sie schüttete sich einen Becher voll ein, dann kostete sie vorsichtig. Köstlich. Sie leerte den Becher fast in einem Zug und schenkte sich gleich noch einen ein.
»Wow. Ich wünschte, ich könnte diese Erfahrung irgendwie mit dir teilen, alter Freund«, sagte sie zu Azrael.
»Das tust du bereits«, sagte Azrael.
Für einen Moment war Cooper verblüfft. Dann verstand sie. »Ach ja. Die Verbindung. Ich vergaß.« Sie grübelte ein bisschen. »Ist aber jetzt schon recht lange her, dass ich durch deine Augen gesehen hab. Eigentlich gar nicht mehr, seit du aufgetaucht bist. Bist du sicher, dass das mit dem Kollektiv stimmt?«
»Ja.
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