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Elysion: Roman (German Edition)

Elysion: Roman (German Edition)

Titel: Elysion: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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Röte. Der Junge schluckte schwer und machte einen erneuten Anlauf. »Bei allem Respekt, Mrs. Larson. Ich müsste wirklich dringend einmal mit Jimmy sprechen.« Er sprach im gedehnten Dialekt der Südstaaten. Etwas, das er von seinem versoffenen Vater übernommen hatte.
    »Meinst du nicht, dass du bereits genug Schaden angerichtet hast? Wie kommt es eigentlich, dass meine Söhne dafür jetzt allein am Pranger stehen?«
    Sie sah, wie Patrick und Jimmy einen kurzen Blick tauschten, und zog ihre Schlüsse.
    »Ah, ich verstehe. Der feine Herr hat sich rechtzeitig aus dem Staub gemacht und lässt nun andere seinen Mist ausbaden.«
    »Mum, das ist nicht fair«, warf Jimmy ein, während der kleine Sean nur verstört von einem zum anderen sah.
    »Fair? Ist es vielleicht fair, dass ich erst meinen Mann verliere und jetzt wegen diesem Nichtsnutz auch noch um das Leben meiner Söhne fürchten muss? Ich will, dass der Kerl aus meiner Hütte verschwindet – und zwar jetzt.«
    Patrick warf Jimmy einen fast flehentlichen Blick zu, doch der zuckte nur hilflos mit den Schultern. Recht so, dachte Maureen.
    Patrick schniefte und spuckte eine ordentliche Menge Rotz vor die Tür. Dann hob er die Hand zu einem trotzigen Salut an die Stirn. »Na schön, Mrs. Larson. Wollte nur helfen.«
    Er zwinkerte Jimmy zu, drehte sich um und verschwand aus dem Türrahmen. Jimmy starrte ihm hinterher. Es war unschwer zu erkennen, mit welchem Impuls er gerade kämpfte.
    »Na los. Lauf ihm doch hinterher wie ein kleiner Pudel«, sagte sie.
    In Jimmys Augen blitzte der Zorn. Für einen Moment sah es aus, als würde er tatsächlich aus der Hütte stürmen, aber dann sah er Sean an, dessen Blick nun auf ihn geheftet war, und er griff sich ein Leintuch und begann es schweigend zu falten. Mit einem theatralischen Seufzer tat Sean es ihm nach.

    Missmutig wanderte Patrick von der Behausung der Larsons, die eher am Rand des Elysion lag, zurück in das Zentrum. Langsam verwandelte sich die ihn umgebende Landschaft. Im Randbereich des Elysion dominierten einfache Blockhütten wie die der Larsons, kleine kugelförmige Bauten, die den Wald wie zu groß geratene Pilznester bevölkerten. Doch je weiter man in das Zentrum des Elysion vordrang, desto mehr fühlte man sich wie im Inneren eines riesigen Schiffes, einer Arche. Hängebrücken und Strickleitern verbanden die verschiedenen Ebenen. Die wenigsten Wohnungen befanden sich noch auf dem Erdboden, die meisten schwebten scheinbar schwerelos an den Stämmen der riesigen Bäume wie große hölzerne Tropfen. Das Gefüge aus Hütten, Brücken und Leitern wurde bald so dicht, dass es in jeder beliebigen Blickrichtung nichts anderes mehr zu sehen gab. Patrick, der gerade mit geübtem Tritt eine nur aus drei Seilen und ihren Querverbindungen bestehende Brücke überquerte, hielt kurz inne und sah nach unten. Der Boden war von hier aus nicht mal mehr auszumachen, genauso wenig wie die Baumkronen über ihm. Eine Welt aus Holz und Tau. Kein Wunder, dass offenes Feuer hier im Zentrum des Elysion bei Todesstrafe verboten war.
    Und genau dieses Verbot würde Patrick bald brechen.

    Der Pontifex hob die Hand, und die Menge beruhigte sich sofort. Es wurde so still, dass man sogar das Surren der Insekten hörte. Eine schier unüberschaubare Menge von Augenpaaren war auf ihn gerichtet. Immer noch strömten einzelne Leute in den »Tempel«, wie alle diesen Ort nannten, auch wenn es kein Bauwerk im eigentlichen Sinne war.
    Eine Unzahl mächtiger Buchen bildete ein natürliches Geviert um das riesige Areal, wobei die Bäume so dicht beieinanderstanden, dass es den Eindruck machte, sie würden eine gigantische Mauer bilden. Über ihnen hatten sich unwirklich lange, geradezu monströs wirkende Äste zu einem organischen Dach verflochten, das gerade so viel Sonnenlicht hindurchließ, dass ein angemessener Halbdämmer entstand.
    Eine Baumkathedrale. Selbst für den Pontifex ein Wunder und wahrlich ein Anblick, der jeden Menschen mit Ehrfurcht erfüllen musste. Und er befand sich inmitten all dieser Leute oder vielmehr weit über ihnen, auf einer hölzernen Plattform, die über einem riesengroßen Findling errichtet war. Der Findling war so hoch, dass man nur über eine Leiter auf die Plattform gelangen konnte.
    Andere Menschen hätten es vielleicht genossen, an seiner statt dort zu stehen, Tausende Augen erwartungsvoll auf sich gerichtet. Er erlaubte sich derlei Gefühle nicht. Dies hier war eine Pflicht, nicht mehr und nicht weniger.

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