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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Funke Leben
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an
als sonst.
    Nicht als Werk­zeu­ge; als Waf­fen. Hier und da traf ein Blick die Ka­pos, die SS
und die Re­vol­ver und das leich­te Ma­schi­nen­ge­wehr, das am Ta­ge vor­her noch nicht
da­ge­we­sen war. Aber trotz al­ler Wach­sam­keit der Auf­se­her wuß­te je­der ein­zel­ne
in der Ab­tei­lung den gan­zen Tag Be­scheid. Die meis­ten hat­ten seit Jah­ren
ge­lernt zu spre­chen, oh­ne die Lip­pen zu be­we­gen, und fast je­des mal, nach­dem
die vol­len Kör­be mit den Le­der­stücken zu­sam­men­ge­schüt­tet und fort­ge­tra­gen
wor­den wa­ren, lief durch die Grup­pe der­je­ni­gen die sit­zen ge­blie­ben wa­ren, bald
die Mel­dung der Trä­ger, die an­de­re von drau­ßen ge­se­hen hat­ten: Man hört es
noch. Es hat nicht auf­ge­hört. Die Au­ßen-Ar­beits­kom­man­dos wa­ren dop­pelt be­wacht.
Sie mar­schier­ten um die Stadt her­um und dann von Wes­ten her­ein in den al­ten
Teil zum Markt. Die Wa­chen wa­ren sehr ner­vös. Sie schrie­en und kom­man­dier­ten
oh­ne Ur­sa­che; die Ge­fan­ge­nen mar­schier­ten in vol­ler Ord­nung. Sie hat­ten bis­her
nur in den neu­en Stadt­tei­len auf­ge­räumt; jetzt ka­men sie zum ers­ten­mal in die
in­ne­re al­te Stadt und sa­hen die Ver­wüs­tung dort. Sie sa­hen die nie­der­ge­brann­ten
Res­te des Vier­tels, in dem die Holz­häu­ser aus dem Mit­tel­al­ter ge­stan­den hat­ten.
Fast nichts war da­von ge­blie­ben. Sie sa­hen es und mar­schier­ten hin­durch, und
die Be­woh­ner, die noch da wa­ren, blie­ben ste­hen oder wen­de­ten sich ab, wenn sie
vor­bei­ka­men. Die Häft­lin­ge fühl­ten sich nicht mehr als Ge­fan­ge­ne, wäh­rend sie
durch die Stra­ßen mar­schier­ten. Auf ei­ne son­der­ba­re Wei­se hat­ten sie einen Sieg
er­foch­ten, oh­ne da­bei zu sein, und die Jah­re der Ge­fan­gen­schaft er­schie­nen
plötz­lich nicht mehr als Jah­re ver­tei­di­gungs­lo­ser Nie­der­la­ge, son­dern als Jah­re
des Kamp­fes. Und der Kampf war ge­won­nen. Sie hat­ten über­lebt. Sie ka­men zum
Markt­platz. Das Rat­haus war völ­lig zu­sam­men­ge­stürzt. Man gab ih­nen Ha­cken und
Schau­feln, um den Schutt zu ent­fer­nen. Sie ar­bei­te­ten. Es roch nach Brand; aber
dar­un­ter spür­ten sie wie­der den an­de­ren Ge­ruch, süß­lich, faul, ge­gen den Ma­gen
pres­send, den Ge­ruch, den sie bes­ser kann­ten als al­le an­de­ren: den Ge­ruch der
Ver­we­sung. Die Stadt roch in den war­men April­ta­gen nach den Lei­chen, die noch
un­ter den Trüm­mern be­gra­ben wa­ren. Nach zwei Stun­den fan­den sie un­ter dem
Schutt den ers­ten To­ten. Sie sa­hen zu­erst sei­ne Stie­fel. Es war ein
SS-Haupt­schar­füh­rer.
    »Es hat sich ge­dreht«, flüs­ter­te Mün­zer. »Es hat sich end­lich ge­dreht! Jetzt
gra­ben wir ih­re To­ten aus. Ih­re To­ten!«
    Er ar­bei­te­te mit neu­er Kraft wei­ter. »Vor­sich­tig!« brüll­te ei­ne Wa­che, die
her­an­kam. »Das ist ein Mensch da, siehst du das nicht?«
    Sie scharr­ten mehr Schutt hin­weg. Die Schul­tern ka­men her­aus und dann der Kopf.
    Sie ho­ben den To­ten hoch und tru­gen ihn bei­sei­te.
    »Wei­ter!« Der SS-Mann war ner­vös. Er starr­te auf den To­ten. »Vor­sich­tig!« Sie
gru­ben rasch nach­ein­an­der noch drei an­de­re aus und leg­ten sie zu dem ers­ten.
Sie tru­gen sie an ih­ren Stie­feln und an den uni­for­mier­ten Ar­men fort. Es war
für sie ein un­er­hör­tes Ge­fühl; bis­lang hat­ten sie so, zer­schla­gen und
schmut­zig, im­mer nur ih­re Ka­me­ra­den weg­ge­tra­gen, aus Bun­kern, aus
Fol­ter­kam­mern, ster­bend oder tot, und dann, in den letz­ten Ta­gen, ei­ne An­zahl
Zi­vi­lis­ten. Jetzt, zum ers­ten­mal, wa­ren es ih­re Fein­de, die sie so tru­gen. Sie
ar­bei­te­ten wei­ter, und nie­mand brauch­te sie an­zu­trei­ben.
    Der Schweiß über­ström­te sie, so ar­bei­te­ten sie, um mehr To­te zu fin­den. Sie
schlepp­ten mit Kräf­ten, die sie nie er­war­tet hät­ten, Bal­ken und Ei­sen­stan­gen
bei­sei­te und gru­ben voll Haß und Ge­nug­tu­ung nach To­ten, als grü­ben sie nach
Gold. Nach ei­ner wei­te­ren Stun­de fan­den sie Dietz. Er hat­te das Ge­nick
ge­bro­chen. Der Kopf war völ­lig auf die Brust her­un­ter­ge­preßt, als hät­te er sich
selbst die Keh­le durch­bei­ßen

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