E.M. Remarque
plötzlich ein Automobil. Es war ein niedriger
Mercedes-Kompressor. Der Wagen kam langsam herangefahren und suchte einen Weg
zwischen den Trümmern. Er wirkte in seiner glatten Eleganz in all der
Zerstörung fast obszön. Der Kolonnenführer stand stramm. Ein
Mercedes-Kompressor war ein offizieller Wagen für große Bonzen. Zwei hohe
SS-Offiziere saßen hinten; ein anderer vorn neben dem Chauffeur. Eine Anzahl
Koffer war aufgeschnallt, ein paar kleinere lagen im Wagen. Die Offiziere
machten ärgerlich abweisende Gesichter. Der Chauffeur mußte langsam durch den
Schutt fahren. Sie kamen dicht an den Gefangenen vorbei, die Dietz auf der Tür
trugen. Sie sahen nicht hin. »Los!« sagte der vorderste zu dem Chauffeur.
»Schneller.«
Die Gefangenen standen still. Lewinsky hielt die Tür an der hintersten rechten
Ecke.
Er sah den gebrochenen Kopf von Dietz und den lächelnden, geschnitzten des
geretteten Mosesknäbleins, und er sah den Mercedes und die Koffer und die
flüchtenden Offiziere, und er atmete tief.
Der Wagen kroch vorüber. »Scheiße!« sagte einer der SS-Leute plötzlich, ein
riesiger Schlächter mit einer Boxernase.
»Scheiße. Verfluchte Scheiße!« Er meinte nicht die Gefangenen.
Lewinsky lauschte. Das ferne Grollen ertrank eine kurze Zeit im Dröhnen des
Mercedes-Motors; dann kam es wieder durch, gedämpft und unentrinnbar.
Unterirdische Trommeln für einen Totenmarsch.
»Los!« kommandierte der Kolonnenführer irritiert. »Los! Los!«
Der Nachmittag schlich dahin. Das Lager war voller Gerüchte. Sie wehten
durch die Baracken und änderten sich jede Stunde. Einmal hieß es, die SS sei
fort; dann kam jemand und berichtete, sie sei im Gegenteil verstärkt worden.
Einmal hieß es, amerikanische Tanks seien in der Nähe der Stadt; dann kam
durch, es seien deutsche Truppen, die die Stadt verteidigen würden.
Um drei Uhr erschien der neue Blockälteste. Es war ein Roter, kein Grüner
»Keiner von uns«, sagte Werner enttäuscht.
»Warum nicht?« fragte 509. »Er ist einer von uns. Ein Politischer. Kein
Krimineller. Oder was meinst du mit uns ?«
»Das weißt du doch. Wozu fragst du?«
Sie saßen in der Baracke. Werner wollte bis nach dem Abpfeifen warten, um ins
Arbeitslager zurückzugehen. 509 hielt sich versteckt, um zu sehen, wie der neue
Blockälteste war.
Neben ihnen röchelte sich ein Mann mit schmutzigen weißen Haaren an einer
Lungenentzündung zu Tode.
»Einer von uns ist jemand, der zur Untergrundbewegung des Lagers gehört«,
dozierte Werner. »Das wolltest du doch wissen, wie?« Er lächelte.
»Nein«, erwiderte 509. »Das wollte ich nicht wissen. Und das meintest du auch
nicht.«
»Einstweilen meine ich das.«
»Ja. Solange die Notgemeinschaft hier notwendig ist. Und dann?«
»Dann«, sagte Werner, erstaunt über so viel Unwissenheit, »dann muß
selbstverständlich eine Partei da sein, die die Macht übernimmt. Eine
geschlossene Partei; nicht ein Haufen zusammengewürfelter Menschen.«
»Also deine Partei. Die Kommunisten.«
»Wer sonst?«
»Jede andere«, sagte 509. »Nur nicht wieder eine totalitäre.«
Werner lachte kurz auf. »Du Narr! Keine andere, nur eine totalitäre. Siehst du
nicht die Zeichen an der Wand? Alle Zwischenparteien sind zerrieben. Der
Kommunismus ist stark geblieben. Der Krieg wird zu Ende gehen. Rußland hat
einen großen Teil Deutschlands besetzt. Es ist bei weitem die stärkste Macht in
Europa. Die Zeit der Koalitionen ist vorbei. Dieses war die letzte. Die
Alliierten haben dem Kommunismus geholfen und sich selbst geschwächt, die
Narren. Der Weltfriede wird abhängen von ...«
»Ich weiß«, unterbrach 509. »Ich kenne das Lied. Sag mir lieber, was mit denen
geschähe, die
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