E.M. Remarque
wollen. Sie rührten ihn anfangs nicht an. Sie
schaufelten ihn ganz frei.
Beide Arme waren gebrochen. Sie lagen so da, als hätten sie ein Gelenk zuviel.
»Es gibt einen Gott«, flüsterte der Mann neben Münzer, ohne jemand anzusehen.
»Es gibt doch einen Gott! Es gibt einen Gott.«
»Schnauze!« schrie ein SS-Mann. »Was sagst du da?«
Er trat dem Mann in die Knie. »Was hast du gesagt? Ich habe gesehen, daß du
geredet hast.«
Der Mann richtete sich auf. Er war über Dietz gefallen. »Ich habe gesagt, wir
müßten eine Bahre machen für den Herrn Obergruppenführer«, erwiderte er mit
unbewegtem Gesicht. »Wir können ihn nicht einfach so tragen wie die anderen.«
»Du hast hier nichts zu sagen! Hier befehlen wir noch! Verstanden? Verstanden?«
»Jawohl.«
Noch, hörte Lewinsky. Befehlen noch! Sie wissen es also, dachte er. Er hob
seinen Spaten.
Der SS-Mann blickte auf Dietz. Unwillkürlich stand er stramm. Das rettete den
Gefangenen, der wieder an Gott glaubte. Der SS-Mann drehte sich um und holte
den Kolonnenführer. Auch der Kolonnenführer nahm so etwas wie Haltung an.
»Die Bahren sind noch nicht da«, erklärte der SS-Mann. Die Antwort des Mannes,
der wieder an Gott glaubte, hatte Eindruck auf ihn gemacht. Einen so hohen
SS-Offizier konnte man tatsächlich nicht an Armen und Beinen wegschleppen.
Der Kolonnenführer sah sich um. Er bemerkte ein Stück weiter eine Tür unter dem
Schutt. »Grabt die da aus. Wir müssen uns einstweilen damit helfen.« Er
salutierte zu Dietz hinüber.
»Legt den Herrn Obergruppenführer vorsichtig auf die Tür drüben.«
Münzer, Lewinsky und zwei andere holten die Tür. Es war eine geschnitzte Arbeit
aus dem 16. Jahrhundert, die eine Darstellung der Auffindung des Moses zeigte.
Sie hatte einen Sprung und war angekohlt. Sie faßten Dietz bei den Schultern
und den Beinen und hoben ihn hinüber. Die Arme baumelten, und der Kopf fiel
sehr weit nach hinten.
»Vorsicht! Lausehunde!« schrie der Kolonnenführer.
Der Tote lag auf der breiten Tür. Unter seinem rechten Arm lächelte das
Mosesknäblein aus seinem Binsenkorb hervor.
Münzer sah es. Die Tür haben sie vergessen vom Rathaus zu entfernen, dachte er.
Moses. Jüdisch. Alles war schon einmal da.
Pharao. Bedrückung. Rotes Meer. Rettung.
»Anfassen! Acht Mann!«
Zwölf Mann sprangen so eilig heran wie noch nie. Der Kolonnenführer blickte
sich um. Gegenüber stand die zerstörte Marienkirche. Er überlegte einen
Augenblick, aber verwarf den Gedanken sofort. Man konnte Dietz nicht in eine
katholische Kirche bringen. Er hätte gern um Weisungen telefoniert; aber der
Telefondienst war unterbrochen. Er mußte tun, was er am meisten haßte und
fürchtete: selbständig handeln.
Münzer sagte etwas. Der Kolonnenführer sah es. »Was? Was hast du gesagt?
Vortreten, Lausehund!«
Lausehund schien sein Lieblingsausdruck zu sein. Münzer trat vor und stand
stramm. »Ich habe gesagt, ob es nicht vielleicht gegen den Respekt wäre, daß
ein Obergruppenführer von Schutzhäftlingen getragen wird.« Er sah den
Kolonnenführer fest und ehrerbietig an.
»Was?« schrie der Kolonnenführer. »Was, Lausehund! Was geht das dich an? Von
wem denn sonst? Wir haben ...«
Er verstummte. Der Einwand Münzers schien Sinn zu haben. Eigentlich hätten
SS-Leute den Toten tragen sollen; aber inzwischen konnten die Gefangenen
ausreißen.
»Was steht ihr da herum?« schrie er. »Vorwärts!« Und plötzlich kam ihm auch die
Erleuchtung, wohin Dietz gebracht werden könne. »Zum Hospital.«
Was der Tote noch im Hospital sollte, war niemandem klar.
Es schien nur ein passender, neutraler Platz zu sein. »Vorwärts ...« Der
Kolonnenführer ging voran. Auch das schien ihm notwendig.
Am Ausgang des Marktplatzes erschien
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