E.M. Remarque
damals.
Irgendwohin. In Ecken. Und man zog sie ebenso an den Beinen heraus ...«
»Du warst in Chicago?« fragte Lebenthal.
»Ja ...«
»In Amerika? Und du bist zurückgekommen?«
»Es war vor fünfundzwanzig Jahren.«
»Du bist zurückgekommen?« Lebenthal starrte Ahasver an.
»Hat man je so etwas gehört?«
»Ich hatte Heimweh. Nach Polen.«
»Weißt du ...« , Lebenthal brach ab. Es war zu viel für ihn.
XX
D as Wetter klärte sich
am Morgen auf zu einem grauen, milchigen Tag. Es blitzte nicht mehr; aber es
rollte immer noch dumpf und fern hinter den Wäldern.
»Merkwürdiges Gewitter«, sagte Bucher. »Sonst sieht man Wetterleuchten und hört
keinen Donner, wenn es abzieht. Hier ist es umgekehrt.«
»Vielleicht kommt es zurück«, erwiderte Rosen.
»Warum soll es zurückkommen?«
»Bei uns zu Hause gehen Gewitter manchmal tagelang zwischen den Bergen umher.«
»Hier sind keine Bergkessel. Nur die eine Linie drüben, und die ist nicht
hoch.«
»Hast du noch andere Sorgen?« fragte Lebenthal.
»Leo«, sagte Bucher ruhig, »Sieh du lieber zu, daß wir etwas zu kauen kriegen.
Selbst wenn es altes Schuhleder ist.«
»Sonst noch Aufträge?« fragte Lebenthal nach einer Pause des Erstaunens.
»Nein.«
»Schön. Dann paß auf, was du quatschst! Und besorge dir dein Futter selber, du
Grünschnabel! Hat man je so etwas gehört an Frechheit?«
Lebenthal versuchte auszuspucken, aber sein Mund war trocken, und sein Gebiß
flog bei der Anstrengung heraus. Er fing es im letzten Augenblick in der Luft
auf und setzte es wieder ein. »Das hat man davon, daß man für euch jeden Tag
sein Fell riskiert«, sagte er ärgerlich. »Vorwürfe und Befehle! Nächstens
erscheint noch Karel mit Aufträgen.«
509 kam heran. »Was habt ihr?«
»Frag den da.« Lebenthal zeigte auf Bucher. »Gibt Befehle. Sollte mich nicht
wundern, wenn er Blockältester werden möchte.«
509 sah Bucher an. Er hat sich verändert, dachte er. Es ist mir nicht so
aufgefallen, aber er hat sich verändert. »Was ist wirklich los?« fragte er.
»Gar nichts. Wir haben nur über das Gewitter geredet.«
»Was geht euch das Gewitter an?«
»Nichts. Es ist nur sonderbar, daß es immer noch donnert. Dabei sind keine
Blitze da und auch keine Wolken. Nur die graue Suppe da oben. Aber das sind
doch keine Gewitterwolken.«
»Probleme! Es donnert, aber es blitzt nicht! Gojim naches!« krächzte Lebenthal
von seinem Platz her. »Meschugge!«
509 sah zum Himmel. Er war grau und schien ohne Wolken zu sein. Dann lauschte
er. »Es donnert tatsä ...« Er brach ab.
Seine Haltung veränderte sich. Er lauschte plötzlich mit seinem ganzen Körper.
»Noch einer!« sagte Lebenthal. »Meschugge ist Trumpf heute.«
»Ruhig!« flüsterte 509 scharf.
»Also du auch ...«
»Ruhig! Verdammt! Sei ruhig, Leo!«
Lebenthal schwieg. Er merkte, daß es nicht mehr um das Gewitter ging. Er
beobachtete 509, der gespannt auf das ferne Rumpeln horchte. Alle schwiegen
jetzt und lauschten.
»Hört zu«, sagte 509 dann langsam und so leise, als fürchte er, etwas flöge
davon, wenn er lauter spräche. »Das ist kein Gewitter. Das ist ...«
Er horchte wieder. »Was?« Bucher stand dicht neben ihm.
Beide blickten sich an und horchten.
Das Rumpeln wurde etwas lauter und sank dann zurück. »Das ist kein Donner«,
sagte 509. »Das ist ...« Er wartete noch einen Augenblick, dann sah er sich um
und sagte, immer noch sehr leise: »Das ist Artilleriefeuer.«
»Was?«
»Artilleriefeuer. Das ist kein Donner.«
Alle starrten sich an. »Was habt ihr?« fragte Goldstein in der Tür.
Keiner antwortete etwas. »Nun – seid ihr erfroren?«
Bucher drehte sich um. »509 sagt, daß man Artilleriefeuer hören kann. Die Front
kann nicht mehr weit weg sein.«
»Was?« Goldstein kam näher. »Wirklich? Oder phantasiert ihr bloß?«
»Wer
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