E.M. Remarque
oder sie nicht ernst meinte.
Handke grinste. Seine Zähne waren gelb und fleckig. »Was?« wiederholte er.
»Die Nummer ist damals aufgeschrieben worden«, sagte Berger ruhig.
»So?« Handke wandte sich ihm zu. »Weißt du das genau?«
»Ja. Der Scharführer Schulte hat sie notiert. Ich habe es gesehen.«
»Im Dunkeln? Dann ist ja alles gut.« Handke wippte noch immer. »Dann kann ich
mich ja ruhig erkundigen gehen. Schadet dann wohl nichts, wie?«
Niemand antwortete. »Du kannst erst noch futtern«, erklärte Handke behaglich.
»Abendessen. Hat keinen Zweck, den Blockführer deinetwegen zu fragen. Werde es
gleich an der richtigen Stelle tun, du Satansbraten.« Er sah sich um.
»Achtung!« schnauzte er dann.
Bolte kam. Er war in Eile, wie immer. Seit zwei Stunden hatte er beim
Kartenspielen verloren und gerade eine günstige Strähne gekriegt. Gelangweilt
blickte er über die Toten hinweg und verschwand so bald wie möglich. Handke
blieb. Er schickte die Essenhohler zur Küche und schlenderte dann zum
Stacheldrahtverhau hinüber, das die Frauenbaracken vom Kleinen Lager trennte.
Dort blieb er stehen und blickte hinüber.
»Laßt uns in die Baracken gehen«, sagte Berger. »Einer kann draußen bleiben und
ihn beobachten.«
»Ich«, erklärte Sulzbacher.
»Sag Bescheid, wenn er weggeht. Sofort!«
Die Veteranen hockten in der Baracke. Es war besser, nicht von Handke gesehen
zu werden. »Was sollen wir machen?« fragte Berger sorgenvoll. »Ob das Schwein
es wirklich ernst meint?«
»Vielleicht vergißt er es wieder. Er sieht aus, als hätte er seinen Koller.
Wenn wir nur Schnaps hätten, um ihn besoffen zu machen!«
»Schnaps!« Lebenthal spuckte aus. »Unmöglich! Völlig unmöglich!«
»Vielleicht hat er nur einen Witz machen wollen«, sagte 509.
Er glaubte es nicht ganz; aber solche Dinge waren im Lager schon oft
vorgekommen. Die SS war Meister darin, Leute immer wieder in Angst zu
versetzen. Mehr als einer hatte es zum Schluß nicht ausgehalten. Manche waren
in den Draht gelaufen; bei anderen hatte schließlich das Herz versagt.
Rosen rückte heran. »Ich habe Geld«, flüsterte er 509 zu. »Nimm es. Ich habe es
versteckt und hereingebracht. Hier, vierzig Mark. Gib es ihm. So haben wir es
bei uns gemacht.«
Er drängte ihm die Scheine in die Hand. 509 fühlte sie und nahm sie, fast ohne
zu merken, daß er sie nahm. »Es wird nichts nützen«, sagte er. »Er wird es
nehmen, einstecken und dann trotzdem tun, was er will.«
»Dann versprich ihm mehr.«
»Woher sollen wir mehr nehmen?«
»Lebenthal hat was«, erklärte Berger. »Ist das nicht so, Leo?«
»Ja, ich habe was. Aber wenn wir ihn einmal scharf auf Geld machen, wird er
jeden Tag kommen und mehr verlangen, bis wir nichts mehr haben. Dann sind wir
bald wieder da, wo wir jetzt sind. Nur das Geld ist weg.«
Alle schwiegen. Keiner fand Lebenthals Feststellung roh. Sie war sachlich,
nichts anderes. Die Frage war einfach, ob es wert war, alle Handelsmöglichkeiten
Lebenthals aufzugeben, nur damit 509 ein paar Tage Aufschub bekam. Die
Veteranen würden weniger Essen bekommen; vielleicht gerade so viel weniger, daß
einige oder alle eingehen würden. Keiner von ihnen würde gezögert haben, alles
herzugeben, wenn 509 dadurch wirklich hätte gerettet werden können; aber das
schien unwahrscheinlich, wenn Handke es ernst meinte, Lebenthal hatte da recht.
Und es war nicht wert, das Leben von einem Dutzend dafür zu riskieren, daß ein
einzelner lediglich zwei, drei Tage länger existieren konnte. Das war das
ungeschriebene, unbarmherzige Gesetz des Lagers, durch das sie bis jetzt
überlebt hatten. Sie kannten es alle; aber sie wollten es in diesem Falle noch
nicht wahrhaben. Sie suchten nach einem Ausweg.
»Man müßte das Aas totschlagen«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher