E.M. Remarque
Bucher schließlich hoffnungslos.
»Womit?« fragte Ahasver. »Er ist zehnmal stärker als wir.«
»Wenn wir alle zusammen mit unseren Eßnäpfen ...«
Bucher verstummte. Er wußte, daß es idiotisch war. Ein Dutzend Leute würde
aufgehängt werden, wenn es gelänge.
»Steht er immer noch da?« fragte Berger.
»Ja. An derselben Stelle.«
»Vielleicht vergißt er es.«
»Dann würde er nicht warten. Er hat gesagt, er will bis nach dem Essen warten.«
Ein totes Schweigen hing in der Dunkelheit. »Du kannst ihm wenigstens die
vierzig Mark geben«, sagte Rosen nach einiger Zeit zu 509. »Sie gehören dir
allein. Ich gebe sie dir. Ich allein dir. Sie gehen keinen anderen was an.«
»Stimmt«, erklärte Lebenthal.
»Das stimmt.« 509 starrte durch die Tür. Er sah die dunkle Figur Handkes gegen
den grauen Himmel stehen. Irgendwann war schon einmal etwas so ähnlich gewesen
– ein dunkler Kopf vor dem Himmel und eine große Gefahr. Er wußte nicht genau
wann. Er blickte wieder zur Tür hinaus und wunderte sich darüber, daß er unentschlossen
war. Ein trüber, undeutlicher Widerstand hatte sich in ihm geformt. Es war ein
Widerstand dagegen, zu versuchen, Handke zu bestechen. Er hatte so etwas früher
nie gekannt; da war immer nur die reine Angst dagewesen.
»Geh 'rüber«, sagte Rosen. »Gib ihm das Geld und versprich ihm mehr.«
509 zögerte. Er verstand sich selbst nicht. Er wußte zwar, daß eine Bestechung
nicht viel Zweck hatte, wenn Handke ihn wirklich verderben wollte.
Er hatte solche Fälle im Lager oft gesehen; man hatte den Leuten abgenommen,
was sie hatten, und sie dann erledigt, damit sie nicht reden konnten. Aber ein
Tag Leben war ein Tag Leben – und vieles konnte inzwischen passieren.
»Da kommen die Essenhohler«, meldete Karel.
»Hör zu«, flüsterte Berger 509 zu. »Versuch es. Gib ihm das Geld. Wenn er dann
wiederkommt und mehr will, drohen wir ihm, ihn wegen Bestechung anzuzeigen. Wir
sind ein Dutzend Zeugen. Das ist viel. Wir werden alle erklären daß wir es
gesehen haben. Er wird dann nichts riskieren. Es ist das einzige, was wir tun
können.«
»Er kommt«, flüsterte Sulzbacher von draußen.
Handke hatte sich umgedreht. Langsam kam er zur Sektion D hinüber. »Wo bist du,
Satansbraten?« fragte er.
509 trat vor. Es hatte keinen Zweck, versteckt zu bleiben.
»Hier.«
»Gut. Ich gehe jetzt. Nimm Abschied und mach dein Testament. Sie holen dich
dann. Mit Pauken und Trompeten.«
Er grinste. Das mit dem Testament hielt er für einen großartigen Witz. Ebenso
die Pauken und Trompeten. Berger stieß 509 an. 509 tat einen Schritt vor. »Kann
ich einen Augenblick mit Ihnen sprechen?«
»Du mit mir? Blödsinn!«
Handke ging dem Ausgang zu. 509 folgte ihm. »Ich habe Geld bei mir«, sagte er
gegen den Rücken Handkes.
»Geld? So? Wieviel?« Handke ging weiter. Er drehte sich nicht um.
»Zwanzig Mark.« 509 hatte vierzig sagen wollen; aber der sonderbare Widerstand
in ihm verhinderte es. Er spürte ihn wie eine Art Trotz; er bot die Hälfte für
sein Leben.
»Zwanzig Mark und zwei Pfennige! Mensch, schieb ab.«
Handke ging schneller. Es gelang 509, neben ihn zu kommen »Zwanzig Mark ist
besser als nichts.«
»Scheiße.«
Es hatte keinen Zweck mehr, jetzt vierzig zu bieten. 509 hatte das Gefühl,
einen entscheidenden Fehler gemacht zu haben. Er hätte alles bieten sollen.
Sein Magen fiel plötzlich in einen Abgrund. Der Widerstand, den er vorher
gespürt hatte, war fort.
»Ich habe noch mehr Geld«, sagte er rasch.
»Sieh mal an!« Handke blieb stehen. »Ein Kapitalist! Ein Verreckkapitalist!
Wieviel hast du denn noch?« 509 holte Atem. »Fünftausend Schweizer Franken.«
»Was?«
»Fünftausend Schweizer Franken. Sie liegen in einem Bankfach in Zürich.«
Handke lachte. »Und das soll ich dir Jammerlappen
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