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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Funke Leben
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wei­ter­ge­gan­gen.
    Vier wei­te­re Leu­te wa­ren ge­fal­len. Sie la­gen am Bo­den. Zwei wa­ren be­wußt­los.
Ei­ner trug ei­ne Hu­sa­ren­uni­form, die er am Abend vor­her er­hal­ten hat­te; der
an­de­re ein Da­men­hemd mit bil­li­ger Spit­ze un­ter ei­ner Art ab­ge­schnit­te­nem
Kaftan. Der Kam­mer­ka­po hat­te die Sa­chen aus Ausch­witz mit Hu­mor un­ter die
Häft­lin­ge ver­teilt. Es gab noch ein paar Dut­zend mehr, die wie zu ei­nem Kar­ne­val
ge­klei­det wa­ren.
    509 hat­te Ro­sen halb­ge­bückt wei­ter­stol­pern und zu­rück­blei­ben se­hen. Er wuß­te,
daß er in we­ni­gen Se­kun­den völ­lig er­schöpft sein und stür­zen wür­de. Es geht
mich nichts an, dach­te er, nichts. Ich will kei­ne Dumm­hei­ten ma­chen. Je­der muß
al­lein für sich sor­gen. Die Rei­he kam wie­der na­he an der Ba­ra­cke vor­bei. 509
sah, daß Ro­sen jetzt der letz­te war. Rasch blick­te er auf Nie­mann, der der
Ba­ra­cke im­mer noch den Rücken zu­ge­dreht hat­te, und dann rund­um. Kei­ner von den
Ba­ra­ckenäl­tes­ten ach­te­te auf ihn. Al­le blick­ten zu den bei­den hin­über, de­nen
Nie­mann das Bein ge­stellt hat­te.
    Hand­ke war so­gar mit ge­r­eck­tem Kopf einen Schritt vor­ge­tre­ten. 509 er­griff den
vor­über­tau­meln­den Ro­sen am Arm, zog ihn her­an und hin­ter sich durch die Rei­he.
    »Schnell! Durch! In die Ba­ra­cke! Ver­steck dich!«
    Er hör­te Ro­sen hin­ter sich keu­chen und sah aus den Au­gen­win­keln et­was wie ei­ne
Be­we­gung, und dann hör­te er das Keu­chen nicht mehr. Nie­mann hat­te nichts
ge­se­hen.
    Er hat­te sich im­mer noch nicht um­ge­dreht. Auch Hand­ke hat­te nichts be­merkt. 509
wuß­te, daß die Tür der Ba­ra­cke of­fen stand. Er hoff­te, daß Ro­sen ihn ver­stan­den
hat­te.
    Und er hoff­te, daß er, wenn er trotz­dem er­wi­scht wur­de, ihn nicht ver­ra­ten
wür­de. Er muß­te wis­sen, daß er oh­ne­hin ver­lo­ren ge­we­sen wä­re. Die Neu­en wa­ren
von Nie­mann nicht ab­ge­zählt wor­den, und er hat­te jetzt ei­ne Chan­ce. 509 fühl­te,
daß sei­ne Knie zit­ter­ten und sei­ne Keh­le tro­cken wur­de. Das Blut braus­te ihm
plötz­lich in den Oh­ren.
    Vor­sich­tig blick­te er zu Ber­ger hin­über. Ber­ger be­ob­ach­te­te un­be­wegt den
ren­nen­den Hau­fen, in dem mehr und mehr Leu­te stürz­ten. Sein an­ge­streng­tes
Ge­sicht zeig­te, daß er al­les ge­se­hen hat­te. Dann hör­te 509 hin­ter sich
Le­ben­thal flüs­tern: »Er ist drin.«
    Das Zit­tern sei­ner Knie wur­de stär­ker. Er muß­te sich ge­gen Bu­cher leh­nen.
    Die Holz­schu­he, die ein Teil der Neu­en emp­fan­gen hat­te, la­gen über­all um­her.
    Die Leu­te wa­ren nicht ge­wohnt, sie zu tra­gen, und hat­ten sie ver­lo­ren. Nur zwei
Leu­te klap­per­ten noch ver­zwei­felt in ih­nen wei­ter. Nie­mann putz­te sei­ne Bril­le.
Sie war an­ge­lau­fen. Es kam von der Wär­me, die er spür­te, wenn er die To­des­angst
sah, wäh­rend die Häft­lin­ge stürz­ten, sich wie­der auf­raff­ten, stürz­ten, sich
auf­raff­ten und wei­ter­tau­mel­ten. Es war ei­ne Wär­me im Ma­gen und hin­ter den
Au­gen. Er hat­te sie zum ers­ten Ma­le ge­spürt, als er sei­nen ers­ten Ju­den ge­tö­tet
hat­te. Er hat­te es ei­gent­lich gar nicht ge­wollt; aber dann war es über ihn
ge­kom­men. Er war im­mer ein ge­drück­ter, ver­schubs­ter Mensch ge­we­sen, und er
hat­te sich an­fangs fast ge­fürch­tet, auf den Ju­den ein­zu­schla­gen. Als er ihn
dann aber vor sich am Bo­den rut­schen und um sein Le­ben bet­teln sah, hat­te er
plötz­lich ge­spürt, wie er ein an­de­rer wur­de, kraft­vol­ler, mäch­ti­ger, er hat­te
sein Blut ge­fühlt, der Ho­ri­zont war wei­ter ge­wor­den, die de­mo­lier­te,
bür­ger­li­che Vier­zim­mer­woh­nung des klei­nen jü­di­schen Kon­fek­tio­närs mit ih­ren
grü­nen Rips­mö­beln hat­te sich in die asia­ti­sche Wüs­te Dschin­gis Khans
ver­wan­delt, der Hand­lungs­ge­hil­fe Nie­mann war auf ein­mal Herr über Le­ben und Tod
ge­we­sen, Macht war da­ge­we­sen, All­macht, ein schar­fer Rausch, der sich
aus­brei­te­te und hö­her stieg, bis dann der ers­te Schlag ganz von selbst kam auf
den weich nach­ge­ben­den Schä­del mit dem spär­li­chen,

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