E.M. Remarque
»Bist du es wirklich?«
»So wirklich, wie
man es sein kann. Und du! Du läufst herum? Ich dachte, du lägest im Bett.«
Hollmann lachte.
»Das ist hier altmodisch.« Er klopfte Clerfayt auf den Rücken und starrte auf
den Wagen. »Ich glaubte, von unten Giuseppes Gebrüll zu hören und dachte schon,
es wäre eine Halluzination. Dann sah ich euch die Steigung heraufkommen. So
eine Überraschung! Wo kommst du her?«
»Aus Monte Carlo.«
»So etwas!«
Hollmann konnte sich nicht beruhigen. »Und mit Giuseppe, dem alten Löwen! Ich
dachte schon, ihr hättet mich vergessen!«
Er tätschelte die
Karosserie des Wagens. Er hatte ein halbes Dutzend Rennen in ihm mitgefahren.
Er hatte in ihm auch seine erste schwere Blutung gehabt. »Es ist doch noch
Giuseppe, was? Nicht schon ein jüngerer Bruder?«
»Es ist Giuseppe.
Aber er fährt keine Rennen mehr. Ich habe ihn von der Fabrik gekauft. Er ist
jetzt im Ruhestand.«
»So wie ich.«
Clerfayt sah auf.
»Du bist nicht im Ruhestand. Du bist auf Urlaub.«
»Ein Jahr! Das ist
kein Urlaub mehr. Aber komm herein! Wir müssen das Wiedersehn feiern! Was
trinkst du jetzt? Immer noch Wodka?«
Clerfayt nickte.
»Gibt es bei euch denn Wodka?«
»Für Gäste gibt es
hier alles. Dies ist ein modernes Sanatorium.«
»Das scheint so. Es
sieht aus wie ein Hotel.«
»Das gehört zur
Behandlung. Moderne Therapie. Wir sind Kurgäste; nicht mehr Patienten. Die
Worte Krankheit und Tod sind tabu. Man ignoriert sie. Angewandte Psychologie.
Sehr praktisch für die Moral; aber man stirbt trotzdem. Was hast du in Monte
Carlo gemacht? Das Rallye mitgefahren?«
»Ja. Liest du keine
Sportnachrichten mehr?«
Hollmann war einen
Moment verlegen. »Anfangs habe ich es getan. Dann nicht mehr. Idiotisch, was?«
»Nein, vernünftig.
Lies sie, wenn du wieder fährst.«
»Ja«, sagte
Hollmann. »Wenn ich wieder fahre. Und wenn ich in der Lotterie das Große Los
gewinne. Mit wem hast du das Rallye gefahren?«
»Mit Torriani.«
Sie gingen dem
Eingang zu. Die Hänge waren rot von der untergehenden Sonne. Skiläufer schossen
wie schwarze Kommas durch den Glanz. »Schön hier«, sagte Clerfayt.
»Ja, ein schönes
Gefängnis.«
Clerfayt erwiderte
nichts. Er kannte andere Gefängnisse. »Fährst du jetzt immer mit Torriani?«
fragte Hollmann.
»Nein. Mal mit dem
einen, mal mit dem anderen. Ich warte auf dich.«
Es war nicht wahr.
Clerfayt fuhr seit einem halben Jahr die Sportwagen-Rennen mit Torriani. Aber
da Hollmann keine Sportnachrichten mehr las, war es eine bequeme Lüge.
Sie wirkte auf
Hollmann wie Wein. Ein feiner Streifen von Schweißtropfen bildete sich
plötzlich auf seiner Stirn. »Hast du etwas im Rallye gemacht?« fragte er.
»Nichts. Wir waren
zu spät.«
»Von wo seid ihr
gefahren?«
»Von Wien. Es war
eine Kateridee. Jede Sowjetpatrouille hat uns aufgehalten. Glaubten alle, wir
wollten Stalin entführen oder hätten Dynamit geladen. Ich wollte auch gar nicht
gewinnen, nur den neuen Wagen ausprobieren. Straßen haben die da in der
Russischen Zone! Wie aus der Eiszeit!«
Hollmann lachte.
»Das war Giuseppes Rache! Wo bist du vorher gefahren?«
Clerfayt hob die
Hand. »Lass uns etwas trinken. Und tu mir einen Gefallen: Lass uns die ersten
Tage hier meinetwegen über alles reden, nur nicht über Rennen und Automobile!«
»Aber Clerfayt!
Worüber sonst?«
»Nur für ein paar
Tage.«
»Was ist los? Ist
etwas passiert?«
»Nichts. Ich bin
müde. Möchte mich ausruhen und einmal ein paar Tage nichts von diesem
verdammten Unfug hören, Menschen auf zu schnellen Maschinen herumrasen zu
lassen. Das verstehst du doch.«
»Natürlich«, sagte
Hollmann. »Aber was ist los? Was ist passiert?«
»Nichts«, erwiderte
Clerfayt ungeduldig. »Ich bin nur abergläubisch, wie jeder andere.
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