E.M. Remarque
man eine
Handvoll Tabletten, eine Anzahl Spritzen und war wieder gesund. Aber die
Wundermittel waren nicht ganz so glorreich und unfehlbar gewesen wie man sie
gepriesen hatte, besonders nicht bei Menschen, die im Kriege aufgewachsen waren
und wenig zu essen gehabt hatten. Bei der Tausendmeilenfahrt in Italien hatte
Hollmann kurz vor Rom eine Blutung bekommen, und Clerfayt hatte ihn beim Depot
absetzen müssen. Der Arzt hatte darauf bestanden, ihn für ein paar Monate in
die Berge zu schicken. Hollmann hatte getobt und sich schließlich gefügt; doch
aus den paar Monaten war jetzt fast ein Jahr geworden.
Der Motor begann
plötzlich zu spucken. Die Kerzen, dachte Clerfayt; wieder einmal! Das kam
davon, wenn man beim Fahren nicht ans Fahren dachte! Er ließ den Wagen das
letzte Stück der Steigung ausgekuppelt hinabrollen, bis er auf der ebenen
Straße hielt, und öffnete die Motorhaube.
Es waren, wie
immer, die Kerzen des zweiten und vierten Zylinders, die verölt waren. Er
schraubte sie heraus, putzte sie, setzte sie aufs neue ein und ließ die
Maschine wieder an. Der Motor funktionierte jetzt, und Clerfayt schob mit der
Hand den Gashebel ein paar Mal hin und her, um das überflüssige Öl aus den
Zylindern zu entfernen. Als er sich aufrichtete, sah er, daß die Pferde eines
Schlittens, der von der anderen Seite kam, durch das plötzliche Heulen des
Motors scheu geworden waren. Sie stiegen auf und rissen den Schlitten quer auf
den Wagen zu. Er lief ihnen entgegen, griff das linke Pferd am Kopfgeschirr und
ließ sich schleppen.
Nach ein paar
Sprüngen blieben die Tiere stehen. Sie zitterten, und der Dampf ihres Atems
wehte um ihre Köpfe. Ihre erschreckten, irren Augen wirkten, als gehörten sie
vorzeitlichen Kreaturen. Clerfayt ließ die Riemen vorsichtig los. Die Pferde
blieben stehen, schnaubend und mit den Schellen klirrend. Er sah, daß es keine
gewöhnlichen Schlittengäule waren.
Ein großer Mann,
der eine randlose Kappe aus schwarzem Pelz trug, stand im Schlitten auf und
redete beruhigend auf die Tiere ein. Neben ihm saß eine junge Frau, die sich an
den Lehnen ihres Sitzes festhielt. Sie hatte ein braunes Gesicht und sehr helle
Augen.
»Es tut mir leid,
daß ich Sie erschreckt habe«, sagte Clerfayt. »Ich habe nicht daran gedacht,
daß Pferde hier nicht an Autos gewöhnt sind.«
Der Mann
beschäftigte sich noch eine Weile weiter mit den Tieren; dann ließ er die Zügel
locker und wandte sich halb um. »Nicht an Autos, die solchen Lärm machen«,
erklärte er abweisend. »Immerhin, ich hätte den Schlitten schon halten können.
Vielen Dank, daß Sie uns retten wollten.«
Clerfayt blickte
auf. Er sah in ein hochmütiges Gesicht, in dem eine Spur von Spott glimmte, als
mache der Mann sich höflich darüber lustig, daß er unnötig den Helden hatte
spielen wollen. Es war lange her, daß ihm jemand auf den ersten Blick derart
missfallen hatte.
»Ich wollte nicht
Sie retten«, erwiderte er trocken.
»Nur meinen Wagen
vor Ihren Schlittenkufen.«
»Ich hoffe, Sie
haben sich dabei nicht unnötig beschmutzt.«
Der Mann wandte
sich wieder den Pferden zu. Clerfayt sah die Frau an. Wohl deshalb, dachte er.
Will selbst der Held bleiben. »Nein, ich habe mich nicht beschmutzt«, erwiderte
er langsam. »Dazu gehört schon etwas mehr.«
Das Sanatorium Bella
Vista lag auf einer kleinen Anhöhe über dem Dorfe. Clerfayt parkte den Wagen
auf einem flachen Platz neben dem Eingang, auf dem ein paar Schlitten standen.
Er stellte den Motor ab und legte eine Decke über die Haube, um ihn
warmzuhalten. »Clerfayt!« rief jemand vom Eingang her.
Er drehte sich um
und sah zu seinem Erstaunen Hollmann auf sich zu gelaufen kommen. Er hatte
geglaubt, er läge zu Bett.
»Clerfayt!« rief
Hollmann.
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