E.M. Remarque
Mein
Kontrakt läuft ab und ist noch nicht erneuert. Ich will nichts berufen. Das ist
alles.«
»Clerfayt«, sagte
Hollmann, »wer ist gestürzt?«
»Ferrer. In einem
albernen, kleinen Mistrennen an der Küste.«
»Tot?«
»Noch nicht. Aber
man hat ihm ein Bein amputiert. Und das verrückte Weib, das mit ihm
herumgezogen ist, die falsche Baronin, weigert sich, ihn zu sehen. Sie sitzt im
Spielsaal und heult. Sie will keinen Krüppel. Komm jetzt und gib mir einen Schnaps.
Mein letzter Kognak ist im Rachen eines Schneepflugführers verschwunden, der
vernünftiger ist als wir; sein Wagen fährt nicht über fünf Kilometer die
Stunde.«
Sie saßen in der Halle
an einem kleinen Tisch neben dem Fenster. Clerfayt sah sich um. »Sind das alles
Kranke?«
»Nein. Auch
Gesunde, die die Kranken besuchen.«
»Natürlich! Und die
mit den blassen Gesichtern sind die Kranken?«
Hollmann lachte.
»Das sind die Gesunden. Sie sind blaß, weil sie erst vor kurzem heraufgekommen
sind. Die andern, die braun wie Sportsleute sind, sind die Kranken, die schon
lange hier sind.«
Ein Mädchen brachte
ein Glas Orangensaft für Hollmann und eine kleine Karaffe Wodka für Clerfayt.
»Wie lange willst
du bleiben?« fragte Hollmann.
»Ein paar Tage. Wo
kann ich wohnen?«
»Am besten im
Palace Hotel. Da ist eine gute Bar.«
Clerfayt blickte
auf den Orangensaft. »Woher weißt du das?«
»Wir gehen dahin,
wenn wir hier mal ausreißen.«
»Ausreißen?«
»Ja, manchmal
nachts, wenn wir uns als Gesunde fühlen wollen. Es ist verboten, aber wenn der
Cafard einen erwischt, ist es besser, als eine erfolglose Diskussion mit Gott
darüber zu führen, warum man krank sei.« Hollmann holte eine flache Flasche aus
der Brusttasche und goß einen Schluck in sein Glas.
»Gin«, sagte er.
»Hilft auch.«
»Dürft ihr nicht
trinken?« fragte Clerfayt.
»Es ist nicht ganz
verboten; aber so ist es einfacher.«
Hollmann schob die
Flasche zurück in die Tasche.
»Man wird ziemlich
kindisch hier oben.«
Ein Schlitten hielt
vor dem Eingang. Clerfayt sah, daß es derselbe war, dem er auf der Straße
begegnet war. Der Mann mit der schwarzen Pelzkappe stieg aus.
»Weißt du, wer das
ist?« fragte Clerfayt.
»Die Frau?«
»Nein, der Mann.«
»Ein Russe. Er
heißt Boris Wolkow.«
»Weißrusse?«
»Ja. Aber zur
Abwechslung kein früherer Großfürst und nicht arm. Sein Vater soll zur rechten
Zeit ein Konto in London eröffnet haben und zur falschen Zeit in Moskau gewesen
sein; er wurde erschossen. Die Frau und der Sohn kamen heraus. Die Frau soll
nußgroße Smaragde in ihr Korsett eingenäht gehabt haben. 1917 trug man noch
Korsetts.«
Clerfayt lachte.
»Du bist ja ein wahres Detektivbüro! Woher weißt du das alles?«
»Hier weiß man bald
alles über einander«, erwiderte Hollmann mit einer Spur von Bitterkeit. »In
zwei Wochen, wenn der Sportbetrieb vorbei ist, ist dies Dorf nichts anderes
mehr als ein kleines Klatschnest für den Rest des Jahres.«
Eine Gruppe
schwarzgekleideter kleiner Leute drängte sich hinter ihnen vorbei. Sie
unterhielten sich lebhaft auf spanisch. »Für ein kleines Dorf scheint ihr
ziemlich international zu sein«, sagte Clerfayt.
»Das sind wir. Der
Tod ist immer noch nicht chauvinistisch.«
»Dessen bin ich
nicht mehr so ganz sicher.« Clerfayt blickte zur Tür. »Ist das da die Frau des
Russen?« Hollmann sah sich um. »Nein.«
Der Russe und die
Frau kamen herein. »Sind die beiden etwa auch krank?« fragte Clerfayt.
»Ja. Sie sehen
nicht so aus, was?«
»Nein.«
»Das ist oft so.
Eine Zeitlang sieht man aus wie das blühende Leben. Dann nicht mehr; aber dann
läuft man auch nicht mehr herum.«
Der Russe und die
Frau blieben neben der Tür stehen. Der Mann redete eindringlich auf die Frau
ein. Sie hörte ihm zu, schüttelte dann heftig den Kopf und ging rasch nach
hinten in die Halle. Der Mann sah ihr nach
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