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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Himmel kennt keine Guenstlinge
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und war­te­te einen Au­gen­blick; dann
ging er nach drau­ßen und stieg in den Schlit­ten.
    »Sie schei­nen
Streit zu ha­ben«, sag­te Cler­fa­yt, nicht oh­ne Ge­nug­tu­ung.
    »So et­was pas­siert
al­le Au­gen­bli­cke. Je­der wird hier nach ei­ni­ger Zeit et­was ver­rückt.
Ge­fan­ge­nen­la­ger-Psy­cho­se. Die Pro­por­tio­nen ver­schie­ben sich; Klei­nig­kei­ten
wer­den wich­tig, und Wich­ti­ges wird ne­ben­säch­lich.«
    Cler­fa­yt sah
Holl­mann auf­merk­sam an. »Bei dir auch?«
    »Bei mir auch. Man
kann nicht im­mer auf den­sel­ben Punkt star­ren.«
    »Woh­nen die bei­den
auch hier?«
    »Die Frau; der Mann
wohnt au­ßer­halb.«
    Cler­fa­yt stand auf.
»Ich fah­re jetzt ins Ho­tel. Wo kön­nen wir zu­sam­men zu Abend es­sen?«
    »Hier. Wir ha­ben
ein Ess­zim­mer, in dem Gäs­te er­laubt sind.«
    »Gut. Wann?«
    »Um sie­ben. Ich muß
um neun zu Bett. Wie in der Schu­le.«
    »Wie beim Mi­li­tär«,
sag­te Cler­fa­yt. »Oder vor ei­nem Ren­nen. Er­in­nerst du dich noch, wie un­ser
Renn­lei­ter uns in Mai­land wie Hüh­ner ins Ho­tel scheuch­te?«
    Holl­manns Ge­sicht
hell­te sich auf. »Ga­bri­el­li? Ist er noch da?«
    »Na­tür­lich. Was
kann ihm schon pas­sie­ren? Renn­lei­ter ster­ben im Bett – so wie Ge­nerä­le.«
    Die Frau, die mit
dem Rus­sen her­ein­ge­kom­men war, kam zu­rück. Sie wur­de am Aus­gang von ei­ner
grau­haa­ri­gen Frau auf­ge­hal­ten, die lei­se und scharf et­was zu ihr sag­te. Sie
er­wi­der­te nichts und dreh­te sich um. Un­schlüs­sig blieb sie ste­hen, dann sah sie
Holl­mann und kam zu ihm her­über. »Das Kro­ko­dil will mich nicht mehr
her­aus­las­sen«, flüs­ter­te sie. »Es be­haup­tet, ich hät­te nicht aus­fah­ren dür­fen.
Es müs­se mich dem Dalai La­ma mel­den, wenn ich es noch ein­mal ver­su­che ...«
    Sie hielt in­ne.
»Dies ist Cler­fa­yt, Lil­li­an«, sag­te Holl­mann. »Ich ha­be Ih­nen von ihm er­zählt.
Er ist über­ra­schend ge­kom­men.«
    Die Frau nick­te.
Sie schi­en Cler­fa­yt nicht wie­der zu er­ken­nen und wand­te sich aufs neue Holl­mann
zu. »Sie be­haup­tet, ich müs­se ins Bett«, sag­te sie är­ger­lich. »Nur, weil ich
vor ein paar Ta­gen et­was Fie­ber ge­habt ha­be. Aber ich las­se mich nicht
ein­sper­ren. Nicht heu­te abend! Blei­ben Sie auf?«
    »Ja. Wir es­sen in
der Vor­höl­le.«
    »Ich kom­me auch.«
    Sie nick­te Cler­fa­yt
und Holl­mann zu und ging zu­rück.
    »Das al­les muß dir
ti­be­ta­nisch vor­kom­men«, sag­te Holl­mann. »Die Vor­höl­le heißt hier der Raum, in
dem Gäs­te zu­ge­las­sen wer­den. Der Dalai La­ma ist na­tür­lich der Pro­fes­sor, das
Kro­ko­dil die Ober­schwes­ter ...«
    »Und die Frau?«
    »Sie heißt Lil­li­an
Dun­ker­que, Bel­gie­rin mit ei­ner rus­si­schen Mut­ter. Die El­tern sind tot.«
    »Warum ist sie
we­gen sol­cher Lap­pa­li­en so auf­ge­regt?«
    Holl­mann hob die
Schul­tern. Er wirk­te plötz­lich mü­de. »Ich ha­be dir schon ge­sagt, daß al­le hier
et­was ver­rückt wer­den. Be­son­ders, wenn je­mand ge­stor­ben ist.«
    »Ist je­mand
ge­stor­ben?«
    »Ja, ei­ne Freun­din
von ihr. Ges­tern, hier im Sa­na­to­ri­um. Es geht einen nichts an, aber ir­gend
et­was stirbt doch im­mer mit. Et­was Hoff­nung wahr­schein­lich.«
    »Ja«, sag­te
Cler­fa­yt. »Aber das ist über­all so.«
    Holl­mann nick­te.
»Sie fan­gen hier an zu ster­ben, wenn es Früh­ling wird. Mehr als im Win­ter.
Merk­wür­dig, was?«

2
    D ie obe­ren Stock­wer­ke
des Sa­na­to­ri­ums sa­hen nicht mehr aus wie ein Ho­tel; sie wa­ren ein Kran­ken­haus.
Lil­li­an Dun­ker­que blieb vor dem Zim­mer ste­hen, in dem Agnes So­mer­ville ge­stor­ben
war. Sie hör­te Stim­men und Lärm und öff­ne­te die Tür.
    Der Sarg war nicht
mehr da. Die Fens­ter stan­den of­fen, und zwei Putz­frau­en wa­ren da­bei, das Zim­mer
zu scheu­ern. Was­ser plansch­te am Bo­den, es roch nach Ly­sol und Sei­fe, die Mö­bel
wa­ren um­ge­kehrt, und das elek­tri­sche Licht stach grell in je­den Win­kel des
Raum­es.
    Lil­li­an glaub­te
einen Au­gen­blick in ein falsches Zim­mer ge­kom­men zu sein. Dann sah sie, hoch
auf einen Schrank ge­wor­fen, den klei­nen Plüsch­bä­ren, der die Mas­kot­te der To­ten
ge­we­sen war. »Hat man sie schon

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