E.M. Remarque
Er
fürchtet nicht nur meinen, sondern auch seinen Ruin, wenn ich länger Kleider
kaufe.«
Sie saßen wieder im
Grand Vefour. Der Kellner brachte wieder, wie beim ersten Mal, eine Seezunge
mit gerösteten Mandeln, und sie tranken wieder einen jungen Montrachet. »Du
bist einsilbig geworden in Rom«, sagte Lillian.
Clerfayt blickte
auf. »So?«
Lillian lächelte.
»Oder ist es die Frau, die vorhin hereingekommen ist?«
»Welche Frau?«
»Ist es nötig, daß
ich sie dir zeige?«
Clerfayt hatte
Lydia Morelli nicht hereinkommen sehen. Er bemerkte sie erst jetzt. Was, zum
Teufel, hatte sie gerade hierher geführt? Er kannte den Mann nicht, mit dem sie
da war, wußte aber, daß er Johnson hieß und sehr reich sein sollte. Lydia hatte
wahrhaftig keine Zeit verloren, seit er ihr morgens gesagt hatte, daß er sie
auch heute abend nicht treffen könne. Er erinnerte sich jetzt auch, warum sie
ihn hier aufgespürt hatte – er war vor einem Jahr öfter mit ihr hier gewesen.
Man sollte vorsichtig sein mit seinen Lieblingsrestaurants, dachte er
ärgerlich.
»Du kennst sie?«
»So wie manche
andere; nicht mehr und nicht weniger.«
Er sah, daß Lydia
Lillian beobachtete und bereits bis auf hundert Francs wußte, was sie trug,
woher es kam und wieviel es kostete. Er war überzeugt, daß sie sogar Lillians
Schuhe taxiert hatte, obschon sie sie nicht sehen konnte. Sie war in dieser
Beziehung eine Hellseherin. Er hätte die Situation vermieden, wenn er daran
gedacht hätte – jetzt, da sie da war, beschloß er, sie auszunützen. Die
einfachsten Reaktionen waren immer noch die wirksamsten. Eine davon war
Rivalität. Wenn Lillian eifersüchtig würde, um so besser.
»Sie ist
ausgezeichnet angezogen«, sagte Lillian.
Er nickte. »Sie ist
bekannt dafür.«
Er erwartete jetzt
eine Bemerkung über Lydias Alter. Sie war vierzig, sah tagsüber aus wie dreißig
und abends wie fünfundzwanzig, wenn das Licht gut war. Das Licht in Lokalen, in
die Lydia ging, war immer gut. Die Bemerkung über das Alter kam nicht. »Sie ist
schön«, sagte Lillian. »Hast du ein Verhältnis mit ihr gehabt?«
»Nein«, erwiderte
Clerfayt.
»Das war eine
Dummheit von dir«, sagte Lillian.
Er sah sie
überrascht an. »Warum?«
»Sie ist sehr
schön. Woher ist sie?«
»Sie ist Italienerin.«
»Aus Rom?«
»Ja«, sagte er.
»Aus Rom. Warum? Bist du eifersüchtig?«
Lillian stellte ihr
Glas mit gelbem Chartreuse ruhig auf den Tisch. »Armer Clerfayt«, erwiderte
sie. »Ich bin nicht eifersüchtig. Dazu habe ich keine Zeit.«
Clerfayt starrte
sie an. Er hätte das bei jeder anderen Frau für eine Lüge gehalten; aber er
begriff, daß es bei Lillian keine war. Sie meinte es, und es war so. Er wurde
von einer Sekunde zur andern wütend, ohne einen Grund dafür zu wissen. »Lass
uns über etwas anderes reden.«
»Warum? Weil du mit
einer andern Frau nach Paris zurückgekommen bist?«
»Das ist Unsinn!
Woher willst du so etwas Absurdes wissen?«
»Ist es nicht
wahr?«
Clerfayt besann
sich nur einen Augenblick. »Ja, es ist wahr.«
»Du hast sehr guten
Geschmack.«
Er schwieg und
wartete auf die nächste Frage. Er war entschlossen, die Wahrheit zu sagen. Vor
zwei Tagen noch hatte er geglaubt, Lillian nebenbei halten zu können; jetzt, wo
er beide nebeneinander sah, wollte er nichts mehr als sie. Er wußte, daß er
sich selbst gefangen hatte und ärgerte sich darüber; aber er wußte auch, daß
nichts es rückgängig machen konnte, am allerwenigsten Logik. Im Augenblick war
Lillian ihm entschlüpft, und zwar auf die gefährlichste Weise, ohne Kampf. Um
sie wiederzubekommen gab es nichts anderes, als das Schwerste zu tun, was es
gab in einem Gefecht, das gewöhnlich nur mit Spiegeln geführt wurde – zu
bekennen, ohne zu
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