E.M. Remarque
verlieren.
»Ich wollte mich
nicht in dich verlieben, Lillian«, sagte er.
Sie lächelte. »Das
ist doch kein Mittel dagegen. So etwas machen Schuljungen.«
»In der Liebe ist
niemand erwachsen.«
»Liebe –«,
sagte Lillian. »Was für ein weites Wort! Und was sich alles darin versteckt!«
Sie blickte auf Lydia Morelli. »Es ist viel einfacher, Clerfayt. Wollen wir
gehen?«
»Wohin?«
»Ich will in mein
Hotel.«
Clerfayt erwiderte
nichts und zahlte. Vorbei, dachte er. Sie gingen durch den Mitteleingang
hinaus, am Tisch Lydia Morellis vorbei, die Clerfayt übersah. Der Mann, der die
Autos parkte, hatte in der schmalen Gasse Clerfayts Wagen direkt auf dem
Trottoir vor dem Restaurant geparkt. Lillian zeigte auf Giuseppe. »Da steht
dein Verräter. Fahr mich zum Hotel.«
»Nein. Lass uns
noch ins Palais Royal gehen. Ist der Garten offen?« fragte er den Mann.
»Die Arkaden, mein
Herr.«
»Ich kenne den
Garten«, sagte Lillian. »Was willst du? Ein Bigamist werden?«
»Lass das! Komm mit
mir.«
Sie gingen durch
die Arkaden des Palais. Es war ein kühler Abend, der stark nach Erde und
Frühjahr roch. Der Wind wehte stoßweise von oben in den Garten und war viel
wärmer als die Nacht, die sich zwischen den Mauern gesammelt hatte. Clerfayt
blieb stehen. »Sag nichts. Und lass mich nichts erklären. Ich kann es nicht.«
»Was wäre zu
erklären?«
»Nichts?«
»Wirklich nichts«,
sagte Lillian.
»Ich liebe dich.«
»Weil ich dir keine
Szene mache?«
»Nein«, sagte
Clerfayt. »Das wäre entsetzlich. Ich liebe dich, weil du mir eine ungewöhnliche
Szene machst.«
»Ich mache dir
überhaupt keine«, erwiderte Lillian und zog den schmalen Pelzkragen ihrer Jacke
enger um den Nacken. »Ich glaube, ich wüsste gar nicht, wie man das anfängt.«
Sie stand vor ihm,
und der unruhige Wind wehte in ihrem Haar. Sie schien ihm völlig fremd, eine
Frau, die er nie gekannt hatte und die ihm bereits verloren gegangen war. »Ich
liebe dich«, sagte er noch einmal und nahm sie in seine Arme und küßte sie. Er
spürte den schwachen Geruch ihres Haares und das bittere Parfüm ihres Halses.
Sie widerstrebte ihm nicht. Sie lag in seinem Arm, die Augen weit offen und
abwesend, als lausche sie auf den Wind.
Er schüttelte sie
plötzlich. »Sag etwas! Tu etwas! Sag meinetwegen daß ich weggehen soll! Schlag
mir ins Gesicht! Aber sei nicht wie eine Statue.«
Sie richtete sich
auf, und er ließ sie los. »Wozu solltest du weggehen?« fragte sie.
»Willst du dann,
daß ich bleibe?«
»Etwas zu wollen ist
heute abend so ein gusseisernes Wort. Was kann man schon damit anfangen?
Gusseisen zerbricht so leicht. Spürst du den Wind? Was will er?«
Er sah sie an. »Ich
glaube, du meinst alles, was du sagst«, sagte er nach einer Weile tief
erstaunt.
Sie lächelte. »Warum
nicht? Ich sagte dir schon, daß alles viel einfacher ist, als du annimmst.«
Er schwieg einen
Augenblick. Er wußte nicht, was er tun sollte. »Gut, ich fahre dich ins Hotel«,
erklärte er schließlich.
Sie ging ruhig mit
ihm, neben ihm her. Was ist nur mit mir los, dachte er. Ich bin verwirrt und
ärgerlich auf sie und Lydia Morelli, und der einzige, auf den ich ärgerlich
sein sollte, bin ich.
Sie standen neben
dem Wagen. In diesem Augenblick kam Lydia Morelli mit ihrem Begleiter aus der
Tür. Sie wollte Clerfayt aufs neue ignorieren, aber ihre Neugier auf Lillian
war zu stark. Außerdem mußten sie und ihr Begleiter in der schmalen Gasse
darauf warten, daß Clerfayts Wagen aus dem Durcheinander von nebeneinander
geparkten Automobilen herausbugsiert wurde, bevor sie an den ihren gelangen
konnten. Mit perfekter Nonchalance begrüßte sie Clerfayt und stellte ihren
Begleiter vor. Ihre Geschicklichkeit, herauszufinden, wer Lillian war und woher
sie kam, war erstaunlich.
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