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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Himmel kennt keine Guenstlinge
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Cler­fa­yt glaub­te ver­su­chen zu müs­sen, Lil­li­an zu
schüt­zen, aber er fand bald her­aus, daß das nicht nö­tig sei. Wäh­rend die bei­den
Park­hel­fer mit viel Ge­schrei Wa­gen hin- und her­scho­ben und den Ver­kehr
auf­hiel­ten, und er mit Ly­di­as Be­glei­ter über Au­to­mo­bi­le re­de­te, ent­wi­ckel­te
sich zwi­schen den bei­den Frau­en ein harm­los wir­ken­des Ge­spräch, in dem An­griff
und Pa­ra­de von töd­li­cher Lie­bens­wür­dig­keit wa­ren. Ly­dia Mo­rel­li hät­te auf ih­rer
ei­ge­nen Ebe­ne oh­ne Zwei­fel ge­siegt; sie war äl­ter als Lil­li­an und weitaus
ge­schick­ter und bös­ar­ti­ger – aber es schi­en, als fech­te sie ge­gen Wat­te.
Lil­li­an war zu ihr von ei­ner so ent­waff­nen­den Nai­vi­tät und ei­nem so
be­lei­di­gen­dem Re­spekt, daß al­le Vor­sicht der Mo­rel­li nichts nütz­te; sie wur­de
als An­grei­fe­rin de­mas­kiert und war da­mit schon halb ge­schla­gen. Selbst ihr
Be­glei­ter muß­te mer­ken, daß sie die In­ter­es­sier­te­re von bei­den war. Und die
Äl­te­re.
    »Ihr Wa­gen, mein
Herr«, mel­de­te der Park­wäch­ter Cler­fa­yt.
    Cler­fa­yt fuhr den Wa­gen
durch die Gas­se um die nächs­te Ecke. »Das war ei­ne erst­klas­si­ge Leis­tung«,
sag­te er zu Lil­li­an. »Sie weiß we­der, wer du bist, noch wo­her du kommst, noch
wo du wohnst.«
    »Sie wird es mor­gen
wis­sen, wenn sie will«, er­wi­der­te Lil­li­an gleich­mü­tig.
    »Von wem? Von mir?«
    »Von mei­nem
Schnei­der. Sie hat ge­se­hen, wo­her die­ses Kleid kommt.«
    »Ist es dir
gleich­gül­tig?«
    »Und wie!« sag­te
Lil­li­an und at­me­te tief die Nacht­luft ein. »Lass uns über die Place de la
Con­cor­de fah­ren. Heu­te ist Sonn­tag; die Fon­tä­nen sprin­gen im Licht.«
    »Ich glau­be, dir
ist al­les gleich­gül­tig, wie?« frag­te er.
    Sie dreh­te sich ihm
zu und lä­chel­te. »In ei­nem sehr in­ten­si­ven Sin­ne, ja.«
    »Das dach­te ich
mir. Was ist mit dir pas­siert?«
    Ich weiß, daß ich
st­er­be, dach­te sie, wäh­rend sie das La­ter­nen­licht über ihr Ge­sicht glei­ten
fühl­te. Ich weiß es mehr als du, das ist al­les, des­halb emp­fin­de ich das, was
für dich Lärm ist, als Schluch­zen und Schrei und Ju­bel, und was für dich All­tag
ist, als Gna­de und Ge­schenk. »Sieh, die Fon­tä­nen!« sag­te sie.
    Er fuhr sehr
lang­sam um den Platz. Un­ter dem sil­ber­grau­en Him­mel von Pa­ris stie­gen die
be­glänz­ten Strah­len auf, sie fin­gen sich in sich selbst und war­fen sich
nar­ziss­tisch sich selbst zu, die Brun­nen rausch­ten, der Obe­lisk stand be­glänzt
mit Tau­sen­den von Jah­ren Be­stän­dig­keit wie ei­ne senk­rech­te, hel­le Ach­se
zwi­schen dem Flüch­tigs­ten, was es gab, Spring­brun­nen, die sich hoch­war­fen ge­gen
den Him­mel und star­ben, wäh­rend sie einen Au­gen­blick ba­lan­cier­ten und die
Krank­heit der Schwer­kraft ver­ga­ßen, um dann, schon wie­der ver­wan­delt im Fal­len,
das äl­tes­te Wie­gen­lied der Er­de zu sin­gen: das Rau­schen des Was­sers, das mo­no­to­ne
Lied von der ewi­gen Wie­der­kehr der Ma­te­rie und dem ewi­gen Ver­ge­hen der
In­di­vi­dua­li­tät.
    »Welch ein Platz!«
sag­te Lil­li­an.
    »Ja«, er­wi­der­te
Cler­fa­yt. »Hier stand die Guil­lo­ti­ne. Drü­ben hat man Ma­rie An­to­i­net­te ge­köpft.
Jetzt sprin­gen die Fon­tä­nen.«
    »Fahr noch zum
Rond-Point«, sag­te Lil­li­an. »Da sind die an­dern.«
    Cler­fa­yt fuhr die
Champs Elysées hin­un­ter. Am Rond-Point ge­sell­te sich dem Ge­sang und dem wei­ßen
Gischt des Was­sers noch der Mi­nia­tur-Lan­zen­wald gel­ber Tul­pen hin­zu, die wie
preu­ßi­sche Sol­da­ten mit den auf­ge­pflanz­ten Ba­jo­net­ten ih­rer Blü­ten
Still­ge­stan­den üb­ten.
    »Ist dir das auch
gleich­gül­tig?« frag­te Cler­fa­yt.
    Lil­li­an muß­te sich
einen Au­gen­blick be­sin­nen. Sie hol­te ih­re Au­gen lang­sam aus dem Plät­schern und
der Nacht zu­rück. Er quält sich, dach­te sie. Wie leicht das ging!
    »Es löscht mich
aus«, sag­te sie. »Ver­stehst du das nicht?«
    »Nein. Ich will
nicht aus­ge­löscht wer­den; ich will mich stär­ker füh­len.«
    »Das mei­ne ich. Es
ist so viel Hil­fe, wenn man nicht wi­der­strebt.«
    Er hät­te gern
an­ge­hal­ten

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