E.M. Remarque
behält
man jemand nicht.«
»Gut. Dann sagen
wir es anders. Ich will nicht so weiterleben wie bisher.«
»Du willst dich zur
Ruhe setzen?«
Clerfayt blickte
auf das zerwühlte Bett. »Du findest mit Sicherheit immer das scheußlichste
Wort. Lass mich ein anderes an seine Stelle setzen. Ich liebe dich, und ich
will mit dir leben. Lach meinetwegen auch darüber.«
»Darüber lache ich
nie.« Sie sah auf. Ihre Augen standen voll Tränen. »Ach, Clerfayt! Was sind das
für Dummheiten!«
»Nicht wahr?« Er
erhob sich und nahm ihre Hände. »Wir waren so sicher, daß uns das nie passieren
könnte.«
»Lass es dabei!
Lass es dabei! Zerstöre es nicht!«
»Was ist da zu
zerstören?«
Alles, dachte sie.
Man kann auf Schmetterlingsflügeln kein häusliches Glück in Toulouse aufbauen,
selbst wenn man sie in Zement gösse. Wie blind Egoismus machen konnte! Bei
jedem anderen Mann hätte er mich sofort verstanden – bei sich selbst ist
er blind.
»Ich bin doch
krank, Clerfayt«, sagte sie schließlich zögernd.
»Das ist ein Grund
mehr, nicht allein zu sein.«
Sie schwieg. Boris,
dachte sie. Boris würde mich verstehen. Clerfayt redete plötzlich wie er; aber
er war nicht Boris. »Wollen wir jetzt Giuseppe holen?« fragte sie.
»Ich kann ihn
holen. Willst du hier warten?«
»Ja.«
»Wann willst du an
die Riviera fahren? Bald?«
»Bald.«
Clerfayt blieb
hinter ihr stehen. »Ich habe an der Riviera ein hässliches, kleines Haus.«
Sie sah sein
Gesicht und seine Hände auf ihren Schultern im Spiegel. »Du entwickelst
wirklich unerwartete Eigenschaften.«
»Man kann es
umbauen«, sagte Clerfayt.
»Kannst du es nicht
verkaufen?«
»Sieh es dir erst
einmal an.«
»Gut«, sagte sie,
plötzlich ungeduldig. »Schick meine Koffer herüber, wenn du zum Hotel kommst.«
»Ich werde sie
mitbringen.«
Er ging. Sie blieb
sitzen und sah in den verglimmenden Abend. Die Angler hockten am Ufer. Ein paar
Clochards bereiteten ihr Abendessen an der Quaimauer vor.
Was für sonderbare
Wege das, was man Liebe nennt, gehen kann, dachte sie. Hatte Levalli nicht
gesagt, daß hinter der Bacchantin der Jugend immer der Schatten der Hausfrau
stände und hinter dem lachenden Eroberer der Bürger mit dem Besitzwunsch? Nicht
für mich, dachte sie; aber was war mit Clerfayt geschehen? Hatte sie ihn nicht
geliebt, weil er nach dem Leben griff, als wäre jeder Augenblick sein letzter?
Toulouse! Sie begann zu lachen. Sie hatte nie von ihrer Krankheit sprechen
wollen, weil sie geglaubt hatte, daß ein Kranker immer etwas abstoßend für
einen Gesunden sei; jetzt spürte sie, daß es auch umgekehrt sein konnte, daß
dem Kranken ein Gesunder etwas vulgär erscheinen konnte, so wie einem verarmten
Aristokraten ein Neureicher. Ihr war, als hätte Clerfayt sie heute auf eine
sonderbare Weise verlassen und wäre auf die große und breite Seite
hinübergewechselt, die ihr unerreichbar war. Er war kein Verlorener mehr; er
hatte plötzlich eine Zukunft. Bin ich deshalb zu ihm zurückgekommen, dachte sie
und fühlte zu ihrer Überraschung, daß sie leicht und lautlos weinte; –
aber sie war nicht unglücklich. Sie hätte nur alles gerne etwas länger
gehalten.
Clerfayt erschien mit den
Koffern. »Wie konntest du es ohne deine Sachen nur so lange aushalten?«
»Ich habe mir neue
bestellt. Bei Kleidern ist das einfach.«
Es war nicht wahr;
aber sie fand plötzlich, sie habe einen Grund dafür. Einen doppelten
sogar – sie mußte feiern, daß sie in Venedig mit dem Leben davongekommen
war, und sie mußte verschwenderisch sein als Protest gegen Clerfayts Angebot,
sie zu heiraten und in Toulouse zu leben.
»Kann ich dir nicht
ein paar Kleider schenken?« fragte Clerfayt. »Ich bin im Augenblick ziemlich
reich.«
»Für meinen
Hochzeitsrousseau?«
»Im
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