E.M. Remarque
mein
Herr.«
»Komm!« Clerfayt
nahm Lillians Arm. »Ich bringe dich hinauf.«
Sie schüttelte den
Kopf und machte sich los. »Weißt du, mit wem ich das letzte Mal solch ein
Argument gehabt habe? Mit Boris. Aber er war besser darin. Du hast recht,
Clerfayt. Es ist ausgezeichnet, wenn du früh schlafen gehst; du mußt dich
ausruhen für dein nächstes Rennen.«
Er starrte sie
ärgerlich an. Der Portier kam mit der Flasche und zwei Gläsern. »Wir brauchen
den Wein nicht«, sagte Clerfayt.
»Doch, ich brauche
ihn.« Lillian nahm die Flasche, schob sie unter den Arm und nahm ein Glas.
»Gute Nacht, Clerfayt. Lass uns heute nicht davon träumen, daß wir
fallen – in den Raum, der kein Ende hat – träume du lieber heute von
Toulouse!«
Sie winkte mit dem
Glas und ging die Treppe hinauf. Er blieb stehen, bis er sie nicht mehr sah.
»Einen Kognak, mein Herr?« fragte der Nachtportier. »Vielleicht einen
doppelten?«
»Für Sie!«
erwiderte Clerfayt und steckte ihm ein paar Scheine in die Hand.
Er ging den Quai
des Grands-Augustins entlang bis zum Restaurant La Périgourdine. Hinter den
erleuchteten Fenstern sah er die letzten Paare in Asche gebratene Trüffeln
essen, die Spezialität des Hauses. Ein altes Ehepaar zahlte; ein junges
Liebespaar log sich glühend etwas vor. Clerfayt überquerte die Straße und ging
langsam zurück, an den geschlossenen Kästen der Buchhändler entlang. Boris,
dachte er wütend. Das auch noch! Der Wind brachte den Geruch der Seine herüber.
Schwarz lagen ein paar Lastkähne in der atmenden Dunkelheit. Von einem klang
das Jammern einer Ziehharmonika.
Lillians Fenster
waren hell; aber die Vorhänge waren zugezogen. Clerfayt sah ihren Schatten
davor hin- und herschwanken. Sie blickte nicht hinaus, obschon die Fenster
geöffnet waren. Clerfayt wußte, daß er sich falsch benommen hatte, doch er
konnte nichts dagegen tun. Er hatte gemeint, was er gesagt hatte. Und Lillian
hatte sehr müde ausgesehen; ihr Gesicht war plötzlich im Restaurant
zusammengefallen. Als wäre es ein Verbrechen, besorgt zu sein, dachte er. Was
mochte sie jetzt tun? Packen? Ihm fiel plötzlich ein, daß sie wissen mußte, er
sei noch da – sie hatte Giuseppe noch nicht abfahren hören. Rasch
überquerte er die Straße und sprang in den Wagen. Er ließ ihn an, gab übermäßig
Gas und schoß davon, der Place de la Concorde zu.
Lillian stellte behutsam
die Flasche Wein auf den Boden neben das Bett. Sie hörte Giuseppe abfahren.
Dann suchte sie einen Regenmantel aus ihren Koffer und zog ihn an. Es war eine
sonderbare Kombination mit dem eleganten Kleid, aber sie hatte keine Lust, sich
umzuziehen; der Mantel deckte das Kleid einigermaßen zu. Sie wollte nicht zu
Bett gehen. Das hatte sie im Sanatorium und in der letzten Woche ausgiebig
gehabt. Sie ging die Treppen hinunter. Der Nachtportier kam herangelaufen.
»Taxi, Madame?«
»Nein, kein Taxi.«
Sie trat auf die
Straße und gelangte, ohne viel zu erleben, bis zum Boulevard St.-Michel. Dann
aber hagelte es Angebote, weiße, braune, schwarze und gelbe. Es war, als sei
sie in einen Sumpf geraten, und die Mücken stürzten sich auf sie. Sie bekam in
wenigen Minuten einen kurzen, aber intensiven Lehrkurs in geflüsterter,
einfachster Erotik, gegen die ein paar Straßenhunde ein ideales Liebespaar
waren.
Etwas betäubt
setzte sie sich an einen der Tische, die vor den Cafés standen. Die Huren
musterten sie scharf; sie hatten ihr Revier und waren bereit, sich gegen jede
Konkurrenz mit Zähnen und Krallen zu wehren. Der Tisch wurde auch sofort das
Zentrum allgemeiner Aufmerksamkeit; Frauen dieser Art saßen um diese Zeit nicht
allein in diesen Cafés. Nicht einmal Amerikanerinnen.
Lillian bekam neue
Angebote – eines,
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