E.M. Remarque
zum Bois fahren.«
»Wir können zum
Bois fahren«, sagte Clerfayt und küßte sie. »Aber wir werden zusammen gehen und
zusammen Giuseppe holen; sonst bist du weg, wenn ich wiederkomme. Ich riskiere
nichts mehr.«
»Hast du mich
vermisst?«
»Ab und zu, wenn
ich dich nicht hasste oder Angst hatte, jemand hätte einen Lustmord an dir
verübt. Mit wem warst du in Venedig?«
»Allein.«
Er sah sie an. »Es
könnte möglich sein. Bei dir weiß man es nie. Warum hast du mir nichts gesagt?«
»Das tun wir doch
nicht. Fährst du nicht auch manchmal nach Rom und erscheinst erst ein paar
Wochen später wieder? Sogar mit einer Geliebten?«
Clerfayt lachte.
»Ich wußte, daß das irgendeinmal kommen würde. Bist du deshalb weggeblieben?«
»Natürlich nicht.«
»Schade.«
Lillian beugte sich
aus dem Fenster, um ihren Korb wieder hochzuziehen. Clerfayt wartete geduldig.
Es klopfte an die Tür. Er ging hin, nahm dem Kellner den Wein ab und trank ein
Glas, während er Lillian aus dem Fenster rufen hörte, daß sie noch ein paar
Hände voll Garnelen haben wolle. Dann blickte er sich im Zimmer um. Er sah ihre
Schuhe, die verstreut umherstanden, etwas Wäsche, die auf einem Sessel lag, und
hinter der halboffenen Schranktür ihre Kleider. Sie war wieder da, dachte er,
und eine tiefe, ungekannte und aufregende Ruhe erfüllte ihn.
Lillian drehte sich
um, den Korb in der Hand. »Wie sie riechen! Gehen wir auch einmal ans Meer?«
»Ja. Nach Monte
Carlo, wenn du willst. Ich muß da irgendwann ein Rennen fahren.«
»Können wir bald
gehen?«
»Sobald du willst.
Heute? Morgen?«
Sie lächelte. »Du
kennst mich. Nein, nicht heute oder morgen, wenn wir heute oder morgen gehen
können.« Sie nahm das Glas, das er ihr gab. »Ich wollte nicht so lange in
Venedig bleiben, Clerfayt«, sagte sie. »Nur ein paar Tage.«
»Und warum bist du
länger geblieben?«
»Ich fühlte mich
nicht wohl.«
»Was hattest du?«
Sie zögerte. »Eine
Erkältung.«
Sie sah, daß er ihr
nicht glaubte. Es entzückte sie. Sein Unglaube machte ihr selbst die Blutung
unwahrscheinlicher; sie war vielleicht doch geringer gewesen, als sie gedacht
hatte. Sie fühlte sich plötzlich wie eine dicke Frau, die zwanzig Pfund
abgenommen hat, ohne es zu merken.
Sie lehnte sich an
ihn. Clerfayt hielt sie fest. »Und wann gehst du wieder weg?« fragte er.
»Ich gehe nicht
weg, Clerfayt. Ich bin nur manchmal nicht da.«
Ein Schlepper
tutete vom Fluss her. Auf dem Deck hing eine junge Frau bunte Wäsche an Leinen
auf. In der Tür der Küche spielte ein Mädchen mit einem Schäferhund. Der
Schiffer stand in Hemdsärmeln am Steuerruder und pfiff.
»Siehst du das?«
fragte Lillian. »Ich spüre immer Neid, wenn ich es sehe. Häuslicher Friede!
Das, was Gott gewollt hat.«
»Wenn du ihn
hättest, würdest du am nächsten Ankerplatz heimlich aussteigen.«
»Das hindert nicht,
daß ich neidisch bin. Wollen wir jetzt Giuseppe holen?«
Clerfayt hob sie
vorsichtig hoch. »Ich will jetzt weder Giuseppe holen noch zum Bois fahren.
Dazu haben wir noch viel Zeit heute abend.«
16
M it
einem
Wort: Du willst mich einsperren«, sagte Lillian und lachte.
Clerfayt lachte
nicht. »Ich will dich nicht einsperren. Ich will dich heiraten.«
»Warum?«
Lillian hielt die
Flasche Rosé vom Bett her gegen das Licht. Das Fenster schimmerte blutübergossen
durch den Wein. Clerfayt nahm ihn ihr aus der Hand.
»Damit du nicht
wieder eines Tages ohne Spur verschwindest.«
»Ich habe meine
Koffer im Ritz gelassen. Glaubst du, daß Heiraten sicherer sei, um
wiederzukommen?«
»Nicht um
wiederzukommen. Um dazubleiben. Fangen wir es anders an. Du hast nur noch wenig
Geld. Von mir willst du nichts nehmen ...«
»Du hast doch
selbst nichts, Clerfayt.«
»Ich habe meinen
Anteil aus zwei Rennen. Dazu kommt das, was ich noch hatte und noch
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