E.M. Remarque
Gleichgewicht zu bringen? Immer
noch besser, als ihm morgens stolz die Knöpfe seiner Uniform zu putzen und die
Stiefel, mit denen er dann die Hände von Judenkindern zertrampeln kann!«
Ich hob die Hände hoch. »Gnade! Heute
scheint ein schlechter Tag für Emigranten zu sein. Gib mir lieber den Wodka,
den ich vorhin nicht haben wollte.«
»Gut.«
Melikow horchte. »Da sind sie.«
Schritte kamen die Treppe herab. Ich hörte
jetzt eine außerordentlich wohlklingende, tiefe Frauenstimme. Es war die
Puertoricanerin mit Lachmann. Sie ging vor Lachmann her, ohne sich darum zu
kümmern, ob er mitkam. Sie hinkte nicht, und man konnte auch nicht sehen, daß
sie einen künstlichen Fuß hatte.
»Sie holen den Mexikaner ab«, flüsterte
Melikow.
»Armer Lachmann«, sagte ich.
»Arm?« erwiderte Melikow. »Er wünscht sich
nur das, was er nicht hat!«
Ich lachte. »Das ist das einzige, was man
immer behält, wie?«
»Arm ist man erst, wenn man nichts mehr
will.«
»Na«, sagte ich. »Ich dachte, dann wäre man
weise.«
»Ich meine es anders. Was ist eigentlich
heute mit dir los? Brauchst du eine Frau?«
»Nein. Allgemeine Abspannung, wenn die
Gefahr vorbei ist«, sagte ich grinsend. »Solltest du aus deiner Jugend kennen.«
»Wir hockten immerfort zusammen. Du dagegen
kümmerst dich nicht viel um andere Emigranten.«
»Ich will mich nicht erinnern.«
»Ist es das?«
»Und ich will nicht in die unsichtbare
Gefängnisatmosphäre der Emigranten hinein. Ich kenne sie schon zu gut.«
»Du willst also ein Amerikaner werden.«
»Ich will gar nichts werden, ich möchte
endlich einmal etwas sein. Wenn man es mir erlaubt.«
»Große Worte.«
»Man muß sich selbst Mut machen«, sagte
ich. »Andere tun's nicht.«
Wir spielten noch eine Partie Schach. Ich
verlor sie. Dann kamen die Bewohner des Hotels allmählich zurück, und Melikow
mußte ihnen die Schlüssel aushändigen und Flaschen und Zigaretten in die Zimmer
bringen. Ich blieb sitzen. Was war wirklich mit mir los? Ich nahm mir vor,
Melikow zu sagen, daß ich ein eigenes Zimmer nehmen wollte. Ich wußte nicht
einmal genau, warum, wir störten uns gegenseitig nicht, und es war Melikow
egal, ob ich bei ihm hauste oder nicht. Aber es schien mir plötzlich wichtig zu
sein, wieder alleine zu schlafen. In Ellis Island hatte ich in einem Saal mit
anderen liegen müssen, und im französischen Internierungslager war es nicht
anders gewesen. Ich wußte, daß ich, wenn ich wieder in einem Zimmer allein sein
würde, an Zeiten zurückdenken mußte, die ich lieber vergessen hätte. Aber es
half nichts, ich konnte diesen Erinnerungen nicht für immer ausweichen.
III.
I ch hatte die Brüder Lowy in dem
Augenblick kennen gelernt, in dem das schräge Licht die Antiquitätenläden auf
der rechten Seite der Avenue in die honigfarbene Verzauberung hob, während sich
die Fenster auf der anderen Seite bereits mit den Spinnweben des Abends
füllten. Es war der Augenblick, in dem sie Leben bekamen – ein Spiegelleben
mit geborgtem Licht, trügerisch, ein Leben von jener Art, wie es die gemalte
Uhr über einem Optikerladen jeden Tag in jener einen Sekunde erhält, wenn die
aufgemalte mit der wirklichen Zeit übereinstimmt. Ich öffnete die Ladentür, der
rothaarige der Brüder Lowy trat aus seinem Aquarium heraus, zwinkerte, nieste,
sah in das sanfte Licht, nieste noch einmal und bemerkte mich, als ich
beobachtete, wie sich der Antiquitätenladen in eine Höhle Aladins verwandelte.
»Schöner Abend, was?« sagte er
nirgendwohin.
Ich nickte. »Eine schöne Bronze haben Sie
da.«
»Falsch«, erwiderte Lowy.
»Sie gehört Ihnen wohl nicht?«
»Warum?«
»Weil Sie sagen, daß sie falsch ist.«
»Ich sage, daß sie falsch ist, weil sie
falsch ist.«
»Ein
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